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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Wenigstens hatten meine Bauchschmerzen nachgelassen.
    Eine Frau in weißer Uniform stand an der Theke und trank Kaffee.
    »Sind Sie wegen der Stelle gekommen?«, fragte sie.
    Ich sagte ja. Die Frau hatte ein hartes, flächiges Gesicht, gemalte Augenbrauen und hochtoupierte lila Haare.
    »Sprechen Sie Englisch?«
    »Ja.«
    »Ich meine, Sie haben es nicht gerade erst gelernt? Sie sind keine Ausländerin?«
    Ich verneinte.
    »Ich habe in den letzten zwei Tagen zwei Mädchen ausprobiert, und ich musste beide wieder wegschicken. Eine gab vor, Englisch zu können, aber sie konnte’s nicht, und der andern musste ich alles zehnmal erklären. Waschen Sie sich an der Spüle gründlich die Hände, und ich hole Ihnen eine Schürze. Mein Mann ist der Apotheker, und ich mache die Kasse.« (Ich nahm zum ersten Mal einen grauhaarigen Mann wahr, der in der Ecke hinter einem hohen Ladentisch stand und mich verstohlen musterte.) »Jetzt ist nichts los, aber bald gibt’s was zu tun. In diesem Block wohnen alles alte Leute, und nach ihrem Mittagsschläfchen kommen sie langsam runter und wollen Kaffee.«
    Ich band mir eine Schürze um und nahm meinen Platz hinter der Theke ein. Ich hatte eine Stelle in Toronto. Ich versuchte herauszufinden, wo alles war, ohne Fragen zu stellen, und musste nur zweimal fragen – wie man die Kaffeemaschine bediente und was ich mit dem Geld machen sollte.
    »Sie stellen die Rechnung aus, und die Kunden bringen es mir. Was haben Sie denn gedacht?«
    Es ging gut. Die Leute kamen einzeln oder zu zweit herein und verlangten meistens Kaffee oder eine Cola. Ich sorgte für ordentlich abgewaschene und abgetrocknete Tassen und eine saubere Theke, und offenbar stellte ich die Rechnungen richtig aus, denn es gab keine Beanstandungen. Die Kunden waren meistens alte Leute, wie die Frau gesagt hatte. Manche sprachen freundlich zu mir und sagten, ich sei wohl neu hier, und fragten mich sogar, woher ich komme. Andere schienen in einer Art Trance zu sein. Eine Frau wollte Toast, und das schaffte ich. Dann machte ich ein Schinkensandwich. Dann war ein bisschen Wirbel mit vier neuen Gästen gleichzeitig. Ein Mann wollte Kuchen und Eiscreme, und ich stellte fest, dass der Eiscreme hart wie Zement war und sich nur schwer herauslösen ließ. Aber es gelang mir. Ich gewann mehr Selbstvertrauen. Ich sagte zu den Gästen: »Bitte sehr«, wenn ich ihre Bestellungen brachte, und »Hier ist der Schaden«, wenn ich die Rechnung präsentierte.
    Die Frau kam langsam von der Kasse herüber.
    »Ich sehe, Sie haben jemandem Toast gemacht«, sagte sie. »Können Sie lesen?«
    Sie zeigte auf ein Schild, das auf dem Spiegel hinter der Theke klebte.
    KEINE FRÜHSTÜCKSARTIKEL NACH 11   UHR VORMITTAGS
    Ich sagte, dass ich gedacht habe, es sei in Ordnung, Toast zu machen, wenn getoastete Sandwiches zu haben waren.
    »Sie haben falsch gedacht. Getoastete Sandwiches ja, zehn Cent Aufschlag. Nur Toast nein. Verstehen Sie jetzt?«
    Ich sagte ja. Ich war nicht so niedergeschmettert, wie ich hätte sein können. Bei der Arbeit dachte ich ständig, was für eine Erleichterung es war, Mr Vorguilla sagen zu können, dass ich eine Stelle hatte. Jetzt konnte ich mir ein eigenes Zimmer suchen. Vielleicht morgen, Sonntag, wenn der Drugstore geschlossen war. Wenn ich ein möbliertes Zimmer fand, dachte ich, hätte Queenie etwas, wohin sie sich flüchten konnte, falls Mr Vorguilla wieder wütend auf sie war. Und falls Queenie je beschließen sollte, Mr Vorguilla zu verlassen (ich blieb dabei, das für eine Möglichkeit zu halten, trotz der Art und Weise, in der Queenies Geschichte geendet hatte), dann konnten wir uns mit dem Lohn unserer beiden Jobs vielleicht eine kleine Wohnung besorgen. Oder wenigstens ein Zimmer mit einer Kochplatte und einer Toilette und Dusche für uns. Es würde sein wie zu Hause bei unseren Eltern, nur dass unsere Eltern nicht da sein würden.
    Ich garnierte jedes Sandwich mit einem Salatblatt und einer Dillgurke. Das versprach ein anderes Schild auf dem Spiegel. Aber als ich die Dillgurke aus dem Glas holte, kam sie mir zu dick vor, und ich schnitt sie der Länge nach durch. Ich hatte gerade einem Mann solch ein Sandwich serviert, als die Frau von der Kasse herüberkam und sich eine Tasse Kaffee holte. Sie ging mit ihrem Kaffee zur Kasse zurück und trank ihn im Stehen. Als der Mann sein Sandwich aufgegessen und bezahlt und den Laden verlassen hatte, kam sie wieder herüber.
    »Sie haben dem Mann eine halbe Dillgurke gegeben? Haben

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