Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Sie das bei jedem Sandwich so gemacht?«
    Ich sagte ja.
    »Wissen sie nicht, wie man eine Gurke in Scheiben schneidet? Eine Gurke muss für zehn Sandwiches reichen.«
    Ich sah zu dem Schild. »Da steht nicht: eine Scheibe. Da steht: eine Gurke.«
    »Das reicht«, sagte die Frau. »Ziehen Sie die Schürze aus. Ich lasse mir von meinen Angestellten keine frechen Antworten gefallen, ich denke gar nicht dran. Holen Sie sich Ihre Handtasche und verschwinden Sie. Und fragen Sie mich ja nicht nach Ihrem Lohn, denn Sie waren sowieso zu nichts nutze, und ich habe Sie nur eingearbeitet.«
    Der grauhaarige Mann spähte mit nervösem Lächeln herüber.
    Also saß ich wieder auf der Straße und machte mich auf den Weg zu einer Straßenbahnhaltestelle. Aber ich kannte jetzt einige Straßen, und ich wusste, wie ich umsteigen musste. Ich hatte sogar Berufserfahrung. Ich konnte sagen, dass ich an einer Imbisstheke gearbeitet hatte. Wenn jemand fragte, wer mich empfehlen konnte, wurde es schwierig – aber ich konnte ja sagen, dass die Imbisstheke in meiner Heimatstadt war. Während ich auf die Straßenbahn wartete, holte ich die Liste der übrigen Geschäfte hervor, bei denen ich mich bewerben wollte, und den Stadtplan, den Queenie mir gegeben hatte. Aber es war später, als ich gedacht hatte, und die meisten schienen mir zu weit weg zu sein. Mir grauste davor, Mr Vorguilla nichts vorweisen zu können. Also beschloss ich, nach Hause zu laufen, in der Hoffnung, dass er schon fort war, wenn ich ankam.
    Ich ging schon die Anhöhe hinauf, als mir das Postamt einfiel. Ich kehrte um, fand auch hin, holte einen Brief aus dem Postfach und machte mich wieder auf den Heimweg. Bestimmt war er inzwischen fort.
    Aber er war nicht fort. Als ich unter dem offenen Wohnzimmerfenster vorbeiging, hörte ich Musik. Keine Musik, wie Queenie sie hören würde. Sondern die komplizierte Musik, die wir manchmal aus den offenen Fenstern vom Haus der Vorguillas gehört hatten – Musik, die Aufmerksamkeit verlangte und dann nirgendwo ankam oder wenigstens lange Zeit nirgendwo ankam. Eben klassische Musik.
    Queenie war in der Küche, in einem anderen ihrer knappen Kleider und voll geschminkt. An beiden Armen trug sie Armreifen. Sie stellte Teetassen auf ein Tablett. Mir war für einen Augenblick schwindlig, da ich aus dem prallen Sonnenlicht kam und mir der Schweiß aus allen Poren lief.
    »Pst«, sagte Queenie, denn ich hatte die Tür mit einem Knall zugemacht. »Sie hören sich da drin Platten an. Er und sein Freund Leslie.«
    Gerade als sie das sagte, hörte die Musik abrupt auf und eine angeregte Unterhaltung setzte ein.
    »Einer von ihnen legt eine Platte auf, und der andere muss nach einem kleinen Stückchen raten, was es ist«, sagte Queenie. »Sie spielen diese kleinen Stückchen, und dann halten sie an, immer wieder. Das macht einen verrückt.« Sie schnitt von einem kalten Brathuhn Scheiben ab und legte sie zwischen Butterbrote. »Hast du eine Stelle gefunden?«, fragte sie.
    »Ja, aber sie war nicht von Dauer.«
    »Na ja.« Es schien sie nicht sonderlich zu interessieren. Aber als die Musik wieder anfing, blickte sie auf, lächelte und fragte: »Warst du auf dem …« Sie sah den Brief in meiner Hand.
    Sie ließ das Messer fallen, kam rasch auf mich zu und sagte leise: »Du bist mit dem in der Hand reingekommen? Ich hätte dir sagen müssen, steck ihn in die Handtasche. Der ist nur für mich.« Sie riss ihn mir aus der Hand, und im selben Augenblick fing der Kessel auf dem Herd an zu pfeifen.
    »Nimm den Kessel runter. Chrissy, schnell, schnell! Nimm den Kessel runter, sonst kommt er her, er kann das Geräusch nicht ausstehen.«
    Sie hatte mir den Rücken zugekehrt und riss den Umschlag auf.
    Ich nahm den Kessel von der Flamme, und sie sagte: »Mach bitte den Tee …«, im leisen, geistesabwesenden Tonfall jemandes, der eine dringende Nachricht liest. »Gieß einfach das Wasser in die Kanne, es ist abgemessen.«
    Sie lachte, als hätte sie gerade einen intimen Scherz gelesen. Ich goss das Wasser auf die Teeblätter, und sie sagte: »Danke. Vielen Dank, Chrissy, danke.« Sie drehte sich um und sah mich an. Ihr Gesicht war rosig, und alle Reifen an ihren Armen klirrten von leiser Erregung. Sie kniffte den Brief zusammen, zog ihren Rock hoch und steckte ihn unter das Gummiband ihres Schlüpfers.
    Sie sagte: »Manchmal durchsucht er meine Handtasche.«
    Ich fragte: »Ist der Tee für ihn und seinen Freund?«
    »Ja. Und ich muss dringend los. Ach du

Weitere Kostenlose Bücher