Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
über alle und auch über Grant lustig. Sie äffte drollig seine Kleinstadtausdrücke nach. Er dachte, vielleicht sei es nur Spaß, als sie ihm einen Heiratsantrag machte, an einem kalten strahlenden Tag am Strand von Port Stanley. Sand stach ihnen ins Gesicht, und die Wellen luden krachend Ladungen kleiner Steinchen zu ihren Füßen ab.
»Fändest du es lustig …«, rief Fiona. »Fändest du es lustig, wenn wir heiraten würden?«
Er nahm sie beim Wort und rief ja. Er wollte nie mehr ohne sie sein. Sie sprühte vor Leben.
Unmittelbar bevor sie das Haus verließen, bemerkte Fiona eine Schliere auf dem Küchenfußboden. Sie stammte von den billigen schwarzen Hausschuhen, die sie an dem Tag getragen hatte.
»Ich dachte, sie hätten damit aufgehört«, sagte sie im Tonfall normaler Verärgerung und Entrüstung und rieb an dem grauen Schmierfleck, der aussah wie mit Ölkreide gemacht.
Sie spöttelte, in Zukunft brauche sie das nie mehr zu tun, da sie diese Schuhe nicht mitnehme.
»Ich stelle mir vor, ich werde die ganze Zeit fein angezogen sein«, sagte sie. »Oder halb fein. Es wird sein wie im Hotel.«
Sie spülte den Lappen aus, den sie benutzt hatte, und hängte ihn auf die Stange an der Innenseite der Tür unter der Spüle. Dann zog sie ihren goldbraunen pelzbesetzten Skianorak an, über einen weißen Rollkragenpullover und eine maßgeschneiderte rehbraune Hose. Sie war eine hoch gewachsene, schmalschultrige Frau, siebzig Jahre alt, aber immer noch aufrecht und wohlgestaltet, mit langen Beinen und langen Füßen, schmalen Hand- und Fußgelenken und winzigen, fast komisch aussehenden Ohren. Ihre Haare, fein wie Löwenzahnflaum, ursprünglich hellblond, waren irgendwann weiß geworden, ohne dass es Grant so recht aufgefallen war, und sie trug sie immer noch schulterlang, wie ihre Mutter früher auch. (Das war es, was Grants eigene Mutter alarmiert hatte, eine Kleinstadtwitwe, die als Sprechstundenhilfe bei einem Arzt arbeitete. Die langen weißen Haare von Fionas Mutter hatten ihr, mehr noch als der Zustand des Hauses, alles verraten, was sie über diese Leute und deren politische Richtung zu wissen brauchte.)
Ansonsten ähnelte Fiona mit ihrem zarten Knochenbau und ihren Saphiraugen ihrer Mutter überhaupt nicht. Sie hatte einen etwas schiefen Mund, den sie jetzt mit rotem Lippenstift betonte – für gewöhnlich das Letzte, was sie tat, bevor sie aus dem Haus ging. Sie wirkte an diesem Tag ganz wie sie selbst – geradezu und dabei wie von ungefähr, liebenswürdig und ironisch.
Vor über einem Jahr waren Grant zum ersten Mal die vielen kleinen gelben Zettel aufgefallen, die überall im Haus klebten. Das war nichts völlig Neues. Sie hatte sich immer Dinge notiert – den Titel eines Buches, den sie im Radio gehört hatte, oder die Dinge, die sie an diesem Tag erledigen wollte. Sogar ihr morgendlicher Zeitplan war schriftlich festgehalten – er fand ihn rätselhaft und rührend in seiner Genauigkeit.
7 Joga. 7 . 30 – 7 . 45 Zähne Gesicht Haare. 7 . 45 – 8 . 15 Spaziergang. 8 . 15 Grant und Frühstück.
Die neuen Zettel waren anders. An die Küchenschubladen geklebt – Besteck, Geschirrhandtücher, Messer. Konnte sie sie nicht einfach aufziehen und nachsehen, was drin war? Er erinnerte sich an eine Geschichte über deutsche Soldaten auf Grenzpatrouille in der Tschechoslowakei im Zweiten Weltkrieg. Ein Tscheche hatte ihm erzählt, dass jeder der Patrouillenhunde ein Schild trug, und auf dem stand: Hund. Warum?, fragten die Tschechen, und die Deutschen antworteten: Na, weil das ein Hund ist.
Er wollte es Fiona erzählen, dann dachte er, besser nicht. Sie lachten immer über dieselben Dinge, aber was, wenn sie diesmal nicht lachte?
Schlimmeres sollte folgen. Sie fuhr in die Stadt und rief aus einer Telefonzelle an, um ihn nach dem Heimweg zu fragen. Sie ging zu ihrem Spaziergang über die Wiese in den Wald und kam entlang der Einzäunung nach Hause – ein sehr weiter Umweg. Sie sagte, sie habe sich darauf verlassen, dass Zäune immer irgendwohin führen.
Es war schwer zu durchschauen. Sie sagte das über die Zäune, als sei es ein Scherz, und sie hatte sich ohne Mühe an die Telefonnummer erinnert.
»Ich glaube, es ist nichts, worüber man sich Sorgen machen muss«, sagte sie. »Ich nehme an, ich verliere nur den Verstand.«
Er fragte sie, ob sie in letzter Zeit Schlaftabletten genommen habe.
»Wenn ja, erinnere ich mich nicht daran«, sagte sie. Dann sagte sie, es tue ihr leid,
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