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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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dass sie so schnippisch gewesen sei.
    »Ich bin sicher, dass ich nichts eingenommen habe. Vielleicht sollte ich was einnehmen. Vielleicht Vitamine.«
    Vitamine halfen nicht. Sie stand in der Tür und versuchte sich zu erinnern, was sie vorgehabt hatte. Sie vergaß, die Flamme unter dem Gemüse auszumachen oder Wasser in die Kaffeemaschine zu füllen. Sie fragte Grant, wann sie in dieses Haus gezogen seien.
    »War es letztes Jahr oder im Jahr davor?«
    Er sagte, es sei zwölf Jahre her.
    Sie sagte: »Das ist ja entsetzlich.«
    »So war sie schon immer ein wenig«, sagte Grant dem Arzt. »Einmal hat sie ihren Pelzmantel zur Aufbewahrung gebracht und dann einfach vergessen. Das war, als wir den Winter immer irgendwo verbracht haben, wo es warm ist. Dann sagte sie, das sei ungewollt Absicht gewesen, sie sagte, es sei wie eine Sünde, die sie hinter sich lasse. Bei dem schlechten Gewissen, das ihr einige Leute wegen des Pelzmantels gemacht hatten.«
    Er versuchte erfolglos, etwas Weiteres zu erklären – dass Fionas Erstaunen über all das und ihre Entschuldigungen etwas von einer mechanischen Höflichkeit an sich hatten, die eine geheime Belustigung nicht völlig verbarg. Als sei sie auf ein Abenteuer gestoßen, das sie nicht erwartet hatte. Oder als spiele sie ein Spiel, das er hoffentlich irgendwann begreifen werde. Sie hatten immer ihre Spiele gehabt – Nonsenssprachen, Personen, die sie erfanden. Manche von Fionas verstellten Stimmen, flötend oder umgarnend (das konnte er dem Arzt nicht erzählen), hatten in geradezu unheimlicher Weise die Stimmen seiner Freundinnen nachgeäfft, denen sie nie begegnet war und von denen sie nie etwas gewusst hatte.
    »Tja«, sagte der Arzt. »Es kann anfangs selektiv auftreten. Wir wissen es eben nicht. Bevor wir nicht das Muster der Verschlechterung erkennen, können wir eigentlich nichts sagen.«
    Nicht lange, und es kam kaum noch darauf an, mit welchem Namen man es versah. Fiona, die nicht mehr alleine einkaufen ging, verschwand aus dem Supermarkt, während Grant ihr den Rücken kehrte. Ein Polizist griff sie auf, als sie mehrere Querstraßen entfernt mitten auf dem Damm spazieren ging. Er fragte sie nach ihrem Namen, und sie antwortete prompt. Dann fragte er sie nach dem Namen des gegenwärtigen Premierministers.
    »Wenn Sie das nicht wissen, junger Mann, sollten Sie wirklich nicht einen so verantwortungsvollen Posten bekleiden.«
    Er lachte. Aber dann beging sie den Fehler, ihn zu fragen, ob er Boris und Natascha gesehen habe.
    Das waren die Barsois, die sie vor etlichen Jahren einer Freundin zuliebe aufgenommen und dann für den Rest deren Lebens rührend versorgt hatte. Ihre Adoption der Hunde stand womöglich in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Diagnose, dass sie höchstwahrscheinlich keine Kinder bekommen konnte. Irgendwas mit verstopften oder verknoteten Eileitern – Grant wusste es nicht mehr genau. Er hatte es immer vermieden, sich diesen ganzen weiblichen Organismus genauer vorzustellen. Oder vielleicht geschah es nach dem Tod ihrer Mutter. Die langen Beine und das seidige Fell der Hunde, ihre schmalen, sanften, stolzen Gesichter passten bei ihren Spaziergängen gut zu ihr. Und Grant selbst, der zu jener Zeit seine erste Anstellung bei der Universität bekam (wobei ihm das Geld seines Schwiegervaters trotz des politischen Makels nicht unlieb war), schien nach Ansicht mancher Leute in einer von Fionas exzentrischen Launen ebenso aufgelesen und gehegt und gepflegt und verhätschelt worden zu sein. Obwohl er das zum Glück erst sehr viel später begriff.
     
    Am Abend des Tages ihres Verschwindens aus dem Supermarkt sagte sie zu ihm: »Du weißt, was du jetzt mit mir tun musst, ja? Du musst mich jetzt in dieses Heim bringen. Ulmensee?«
    Grant sagte: »Wiesensee. In dem Stadium sind wir noch nicht.«
    »Ulmensee, Immensee«, sagte sie, als lägen sie in einem spielerischen Wettbewerb. »Irrensee. Das ist es. Irrensee.«
    Er stützte den Kopf in die Hände, die Ellbogen auf den Tisch. Er sagte, wenn sie schon daran dächten, dann unbedingt als etwas, das nicht dauerhaft zu sein brauchte. Eine Art experimentelle Behandlung. Eine Ruhekur.
     
    Es gab eine Regel, dass niemand im Dezember aufgenommen wurde. Die Weihnachtszeit hielt zu viele emotionale Fallgruben bereit. Also unternahmen sie die Fünfundzwanzig-Minuten-Fahrt im Januar. Bevor sie die Fernstraße erreichten, durchquerte die Landstraße eine sumpfige Senke, die jetzt völlig zugefroren war. Die Mooreichen

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