Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Braun gebrannt und angeregt, offensichtlich reich und von Freunden umgeben. Und einmal war sie unter den Frauen vor einer Kirchentür, die darauf warteten, das Brautpaar zu Gesicht zu bekommen. Sie trug eine fleckige Wildlederjacke, und sie sah weder wohlhabend noch gesund aus. Ein andermal stand sie an einem Fußgängerüberweg und beaufsichtigte eine Schar von Kleinkindern auf dem Weg ins Schwimmbad oder in den Park. Es war ein heißer Tag, und sie machte in geblümten Shorts und bedrucktem T-Shirt kein Geheimnis aus ihrer üppigen, reifen Figur.
Das letzte und seltsamste Mal war in einem Supermarkt in Twin Falls, Idaho. Ich kam mit ein paar Dingen für ein Picknick um eine Ecke, und vor mir lehnte eine alte Frau sich auf ihren Einkaufswagen, als wartete sie auf mich. Eine kleine verhutzelte Frau mit schiefem Mund und ungesund aussehender bräunlicher Haut. Gelbbraunes Stoppelhaar, eine violette Hose, die bis über den kleinen Trommelbauch reichte – sie war eine jener dünnen Frauen, die trotzdem mit zunehmendem Alter die Annehmlichkeit einer Taille verloren haben. Die Hose konnte gut aus einem Secondhandshop stammen, ebenso wie die fröhlich bunte, aber verfilzte und eingeschrumpfte Strickjacke, die über einer Brust, nicht größer als die einer Zehnjährigen, zugeknöpft war.
Der Einkaufswagen war leer. Sie hatte nicht mal eine Handtasche bei sich.
Und im Gegensatz zu den anderen Frauen schien diese zu wissen, dass sie Queenie war. Sie lächelte mich mit so freudigem Wiedererkennen an, mit solcher Sehnsucht, ihrerseits erkannt zu werden, dass man den Eindruck gewinnen konnte, es sei für sie ein großer Segen – eine ihr gewährte Gnade, für einen Tag unter Tausenden aus dem Dunkel hervortreten zu dürfen.
Und alles, was ich tat, war: Ich verzog freundlich und unpersönlich den Mund, wie zu einer geistesgestörten Fremden, und ging weiter auf die Kasse zu.
Dann auf dem Parkplatz nannte ich meinem Mann einen Vorwand, sagte, ich habe etwas vergessen, und eilte in den Laden zurück. Ich lief suchend durch die Gänge zwischen den Regalen. Aber in dieser kurzen Zeit schien die alte Frau verschwunden zu sein. Sie konnte gleich nach mir hinausgegangen sein; sie konnte jetzt in den Straßen von Twin Falls unterwegs sein. Zu Fuß oder in einem Auto, gefahren von einem hilfsbereiten Verwandten oder Nachbarn. Oder sogar in einem Auto, das sie selbst fuhr. Es bestand jedoch eine geringe Chance, dass sie immer noch im Laden war und dass wir beide die Gänge auf und ab liefen und uns ständig verfehlten. Ich ging ziellos in eine Richtung, dann in eine andere, fröstelte im eisigen Klima des sommerlichen Supermarkts, sah den Leuten gerade ins Gesicht und erschreckte sie wahrscheinlich, da ich sie stumm anflehte, mir zu sagen, wo ich Queenie finden konnte.
Bis ich zur Besinnung kam und mir selbst versicherte, dass es unmöglich war und dass die Frau, ob sie nun Queenie war oder nicht, mich hinter sich gelassen hatte.
Der Bär kletterte über den Berg
Fiona wohnte im Haus ihrer Eltern, in der Stadt, in der sie und Grant studierten. Es war ein großes Haus mit Erkerfenstern, das in Grants Augen zugleich luxuriös und unordentlich war, mit faltigen Teppichen auf dem Boden und Tassenringen in der Tischpolitur. Ihre Mutter stammte aus Island – eine kräftige Frau mit einer Schaumkrone weißer Haare und extrem linken politischen Überzeugungen. Der Vater war ein bedeutender Herzspezialist, der im Krankenhaus verehrt wurde, aber zu Hause zum Glück fügsam war und sich die sonderbaren Tiraden dort mit geistesabwesendem Lächeln anhörte. Alle möglichen Leute, reiche wie ärmlich aussehende, hielten diese Tiraden, kamen und gingen und argumentierten und konferierten, manchmal mit ausländischem Akzent. Fiona hatte ein eigenes kleines Auto und einen Stapel Kaschmirpullover, aber sie gehörte keiner Studentenverbindung an, und wahrscheinlich war der Grund dafür diese Betriebsamkeit in ihrem Haus.
Nicht, dass sie etwas darauf gab. Verbindungen waren für sie ein Witz, ebenso politische Überzeugungen, obwohl sie gern die Platte mit den »Vier aufrührerischen Generälen« auflegte und manchmal auch die Internationale abspielte, sehr laut, wenn ein Gast da war, den sie ihrer Meinung nach damit nervös machen konnte. Ein krausköpfiger, finster blickender Ausländer machte ihr den Hof – sie sagte, er sei ein Westgote – und ebenso zwei oder drei recht ehrenwerte und verklemmte junge Assistenzärzte. Sie machte sich
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