Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
liebes bisschen. Ich muss noch die Sandwiches schneiden. Wo ist das Messer?«
Ich hob das Messer auf und schnitt die Sandwiches durch und legte sie auf einen Teller.
»Willst du nicht wissen, von wem mein Brief ist?«, fragte sie.
Mir fiel nichts ein.
Ich sagte: »Von Bet?«
Weil ich die leise Hoffnung hatte, dass eine verzeihende Geste von Bet die Ursache für Queenies plötzliches Aufblühen war.
Ich hatte mir nicht einmal die Handschrift auf dem Umschlag angesehen.
Queenies Gesichtsausdruck veränderte sich – für einen Augenblick sah sie aus, als wüsste sie nicht, wer das war. Dann gewann sie ihre Glückseligkeit zurück. Sie kam und legte die Arme um mich und sprach in mein Ohr, mit einer Stimme, die vor verschämtem Triumph zitterte.
»Er ist von Andrew. Kannst du ihnen das Tablett reinbringen? Ich kann nicht. Ich kann das jetzt nicht. Ich danke dir.«
* * *
Bevor Queenie zur Arbeit ging, kam sie ins Wohnzimmer und gab Mr Vorguilla und seinem Freund einen Kuss. Sie küsste beide auf die Stirn. Mir winkte sie mit beiden Händen zu. »Tschüs.«
Als ich das Tablett hereingebracht hatte, sah ich die Verärgerung auf Mr Vorguillas Gesicht, dass ich nicht Queenie war. Aber er sprach überraschend geduldig mit mir und stellte mich Leslie vor. Leslie war ein stämmiger, kahlköpfiger Mann, der für mich auf den ersten Blick fast so alt wie Mr Vorguilla aussah. Aber sobald man sich an ihn gewöhnt hatte und seine Glatze außer Acht ließ, wirkte er wesentlich jünger. Er war nicht die Art von Freund, die ich bei Mr Vorguilla erwartet hätte. Er war weder barsch noch besserwisserisch, sondern angenehm und voller Ermutigung. Als ich zum Beispiel von meinen Erfahrungen an der Imbisstheke berichtete, sagte er: »Aber das ist doch was. Bei der ersten Stelle, wo Sie sich beworben haben, genommen zu werden. Das zeigt, Sie wissen einen guten Eindruck zu machen.«
Es war mir nicht schwer gefallen, über das Erlebnis zu reden. Leslies Anwesenheit machte alles leichter und schien Mr Vorguillas Verhalten zu mildern. Als müsste er mir in Gegenwart seines Freundes mit angemessener Höflichkeit begegnen. Es konnte auch sein, dass er eine Veränderung in mir spürte. Die Menschen merken den Unterschied, wenn man keine Angst mehr vor ihnen hat. Er wäre sich über den Unterschied nicht recht im Klaren gewesen, und er hätte bestimmt keine Ahnung gehabt, wie er zustande gekommen war, aber er wäre dadurch verunsichert und deshalb vorsichtiger gewesen. Er stimmte Leslie zu, als der sagte, ich könne froh sein, die Stelle los zu sein, und er ging sogar so weit zu sagen, dass die Frau sich anhöre wie die Sorte abgebrühter Halsabschneider, wie man sie manchmal in solch miesen Läden in Toronto finde.
»Und sie hatte keinen Grund, dir nichts zu zahlen«, sagte er.
»Man sollte meinen, der Mann hätte ein Wort sagen können«, sagte Leslie. »Wenn er der Apotheker ist, ist er schließlich der Chef.«
Mr Vorguilla sagte: »Er könnte eines Tages ein Spezialmittel zusammenbrauen. Für seine Frau.«
Es war gar nicht so schwer, Tee einzuschenken, Milch und Zucker anzubieten, die Sandwiches herumzureichen und sogar eine Unterhaltung zu führen, wenn man etwas wusste, was ein anderer nicht wusste, über eine Gefahr, in der er sich befand. Gerade weil er es nicht wusste, konnte ich für Mr Vorguilla noch etwas anderes als Abscheu empfinden. Nicht, dass er sich gewandelt hatte – oder wenn, dann allenfalls, weil ich mich gewandelt hatte.
Bald sagte er, dass es für ihn Zeit sei, sich zur Arbeit fertig zu machen. Er ging sich umziehen. Darauf fragte Leslie mich, ob ich Lust hätte, mit ihm essen zu gehen.
»Gleich um die Ecke ist ein Lokal, das ich kenne«, sagte er. »Nichts Vornehmes. Nicht so was wie Stans Restaurant.«
Ich war erleichtert, dass ihm kein vornehmes Etablissement vorschwebte. Ich sagte: »Klar.« Und nachdem wir Mr Vorguilla zum Restaurant gebracht hatten, fuhren wir in Leslies Auto zu einem Fish-and-Chips-Lokal. Leslie bestellte sich die große Platte – obwohl er gerade mehrere Huhnsandwiches verzehrt hatte –, und ich bestellte die normale. Er trank ein Bier und ich eine Cola.
Er redete über sich selbst. Er sagte, er bedaure es, sich gegen eine Lehrerausbildung und für die Musik entschieden zu haben, die einem kein sehr geregeltes Leben beschere.
Ich war zu sehr mit meiner eigenen Situation beschäftigt, um ihn auch nur zu fragen, was für ein Musiker er war. Mein Vater hatte mir eine
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