Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
werden einem ganzen Haufen neuer Bazillen ausgesetzt, und eine Zeit lang holen sie sich einfach alles.«
Dann besserte sich ihre Erkältung. Die Antibiotika wurden abgesetzt, und sie wirkte nicht mehr so verwirrt wie bei ihrer Einlieferung. (Grant hörte zum ersten Mal von den Antibiotika und der Verwirrung.) Ihr Appetit war recht gut, und sie saß offenbar gerne in der Veranda. Und offenbar saß sie auch gerne vor dem Fernseher.
Eines der unerträglichen Dinge am alten Wiesensee waren die Fernseher gewesen, die überall liefen und die Gedanken und Gespräche überlagerten, ganz egal, wo man sich hinsetzte. Einige der Insassen (so hatten Grant und Fiona sie damals genannt, nicht Heimbewohner) schauten hinein, einige redeten mit dem Bildschirm, aber die meisten saßen nur da und ließen alles, was daraus auf sie eindrang, über sich ergehen. In dem neuen Gebäude gab es, soweit er sich daran erinnerte, nur in einem separaten Aufenthaltsraum oder in den Schlafzimmern einen Fernseher. Man hatte die Wahl, ob man schauen wollte.
Also musste Fiona ihre Wahl getroffen haben. Um sich was anzuschauen?
In den gemeinsam verbrachten Jahren in diesem Haus hatten beide ziemlich viel ferngesehen. Sie hatten das Leben eines jeden Wildtiers oder Reptils oder Insekts oder Meeresbewohners ausgespäht, das von einer Kamera eingefangen werden konnte, sie hatten die Handlungsstränge von Familienserien verfolgt, die sich ziemlich ähnlich waren und allesamt an Gesellschaftsromane aus dem neunzehnten Jahrhundert erinnerten. Sie hatten sich in eine englische Comedy-Serie über das Leben in einem Warenhaus vernarrt und sich so viele Wiederholungen angesehen, dass sie die Dialoge auswendig konnten. Sie betrauerten das Verschwinden von Schauspielern, die im wirklichen Leben starben oder ausschieden, um anderswo aufzutreten, und freuten sich dann über deren Wiederkunft in alten Folgen. Sie sahen zu, wie die schwarzen Haare des Abteilungsleiters ergrauten und schließlich wieder schwarz wurden, in den immer gleichen billigen Kulissen. Aber auch die verblassten; mit der Zeit verblassten die Kulissen und die schwärzesten Haare, als dringe unter den Fahrstuhltüren hindurch der Staub von Londons Straßen ein, und das hatte eine Traurigkeit an sich, die auf Grant und Fiona ergreifender wirkte als irgendeine der Tragödien in
Meisterwerke des Theaters
, also sahen sie sich die allerletzten Folgen nicht mehr an.
Fiona war dabei, sich mit einigen anzufreunden, sagte Kristy. Sie kam offensichtlich aus ihrem Schneckenhaus heraus.
Aus welchem Schneckenhaus?, wollte Grant fragen, verbiss es sich aber, um es sich mit Kristy nicht zu verderben.
Wenn Bekannte anriefen, ließ er sie auf den Anrufbeantworter sprechen. Die Leute, mit denen sie gelegentlich verkehrten, wohnten nicht in nächster Nähe, sondern irgendwo auf dem Lande, Rentner wie sie, die oft ohne Ankündigung verreisten. In den ersten Jahren hier waren Grant und Fiona im Winter dageblieben. Ein Winter auf dem Lande war eine neue Erfahrung, und sie hatten viel zu tun, um das Haus darauf einzurichten. Dann hatten sie sich in den Kopf gesetzt, Reisen zu unternehmen, solange sie es noch konnten, und sie waren nach Griechenland, Australien und Costa Rica gefahren. Ihre Bekannten würden denken, dass sie sich gerade auf einer solchen Reise befanden.
Er lief Ski, um sich Bewegung zu verschaffen, aber niemals so weit bis ins Moor. Er lief auf der Wiese hinter dem Haus im Kreis herum, während die Sonne unterging und unter einem rosigen Himmel eine Landschaft zurückließ, die von Wogen aus blau gesäumtem Eis umschlossen zu sein schien. Er zählte ab, wie oft er die Wiese umrundete, und wenn er in das dunkelnde Haus zurückkehrte, stellte er die Fernsehnachrichten an und machte sich sein Abendbrot zurecht. Sie hatten das Abendbrot meistens gemeinsam vorbereitet. Einer machte die Drinks, und der andere machte Feuer, und sie redeten über seine Arbeit (er schrieb eine Abhandlung über die Wölfe in den Altnordischen Sagen und besonders über den Fenriswolf, der beim Weltuntergang Odin verschlingt), über das, was Fiona gerade las, und über alles, was sie im Laufe des nah beieinander und doch getrennt verbrachten Tages gedacht hatten. Das war ihre Zeit lebhaftester Intimität, obwohl es natürlich auch die fünf oder zehn Minuten Zärtlichkeit gleich nach dem Zubettgehen gab – etwas, das nicht oft mit Sex endete, ihnen aber bestätigte, dass Sex noch nicht vorbei war.
In einem Traum
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