Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
ihre Chancen sonst gleich null gewesen wären.
Nirgendwo fand sich eine Bestätigung, dass zum Leben eines Schürzenjägers (wenn er sich so bezeichnen musste – er, der nicht halb so viele Eroberungen und Verwicklungen auf seinem Konto hatte wie der Mann, der ihm in seinem Traum Vorwürfe gemacht hatte) auch Akte der Freundlichkeit und Großzügigkeit und sogar der Opferbereitschaft gehörten. Nicht am Anfang vielleicht, aber zumindest im weiteren Verlauf. Viele Male hatte er dem Stolz einer Frau, ihrer Verletzlichkeit, Rechnung getragen, indem er mehr Zärtlichkeit – oder auch rauere Leidenschaft – aufbot, als irgend dem entsprach, was er wirklich empfand. Alles, damit man ihn jetzt beschuldigte, zu verletzen und auszunutzen und Selbstachtung zu zerstören. Und Fiona zu betrügen – was er natürlich getan hatte –, aber wäre es besser gewesen, er hätte getan, was andere mit ihrer Ehefrau gemacht hatten, und sie verlassen?
An so etwas hatte er nie gedacht. Er hatte nie aufgehört, mit Fiona zu schlafen, trotz erschreckender Anforderungen von anderer Seite. Er war nicht eine Nacht lang weggeblieben. Kein Erfinden von ausgeklügelten Geschichten, um ein Wochenende in San Francisco oder in einem Zelt auf Manitoulin Island zu verbringen. Er hatte sich beim Konsum von Kiff und Alkohol zurückgehalten, und er hatte weiterhin wissenschaftliche Arbeiten publiziert, in Ausschüssen mitgewirkt und in seiner Karriere Fortschritte gemacht. Er hatte nie die Absicht gehabt, seine Laufbahn und seine Ehe hinzuschmeißen und aufs Land zu ziehen, um zu tischlern oder Bienen zu züchten.
Aber etwas Ähnliches war dann doch geschehen. Er war mit niedrigerer Rente vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Der Herzspezialist war gestorben, nach einer verstörten und stoisch ertragenen Zeit allein in dem großen Haus, und Fiona hatte nicht nur diese Immobilie geerbt, sondern auch das Farmhaus, in dem ihr Vater aufgewachsen war, auf dem Lande in der Nähe der Georgian Bay. Sie gab ihre Stellung auf, als Koordinatorin ehrenamtlicher Dienste in einem Krankenhaus (in jener Alltagswelt, wie sie sagte, in der die Menschen in Schwierigkeiten steckten, die nichts mit Drogen oder Sex oder intellektuellen Zänkereien zu tun hatten). Ein neues Leben war eben ein neues Leben.
Boris und Natascha waren zu der Zeit schon tot. Einer von ihnen wurde krank und starb als Erster – Grant hatte vergessen, welcher von beiden –, und dann starb auch der andere, mehr oder weniger aus Mitgefühl.
Er werkelte mit Fiona zusammen am Haus. Sie besorgten sich Langlaufskier. Sie lebten ziemlich zurückgezogen, aber nach und nach erwarben sie sich einige Freunde. Es war Schluss mit den hektischen Flirts, Schluss mit den nackten weiblichen Zehen, die unter dem Tisch in seinem Hosenbein hochkrochen. Schluss mit den Ehefrauen auf Abwegen.
Gerade noch rechtzeitig, konnte Grant sich eingestehen, als sein Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, nachließ. Die Feministinnen und vielleicht das arme törichte Mädchen selbst sowie seine feigen so genannten Freunde hatten ihn gerade noch rechtzeitig hinausgestoßen. Hinaus aus einem Leben, das inzwischen mehr Schwierigkeiten bereitet hätte, als sich lohnte. Und durch das er Fiona hätte verlieren können.
Am Morgen des Tages, an dem er zum ersten Mal nach Wiesensee zu Besuch fahren durfte, wurde Grant früh wach. Ihn erfüllte ein feierliches Prickeln, wie in den alten Zeiten am Morgen seiner ersten Verabredung mit einer neuen Frau. Das Gefühl war nicht rein sexuell. (Später, als die Verabredungen zur Routine geworden waren, war es nur noch das.) Es lag darin auch die Erwartung von Entdeckungen, nahezu einer spirituellen Erweiterung. Auch Furchtsamkeit, Demut, Besorgnis.
Er brach zu früh auf. Besucher wurden nicht vor vierzehn Uhr eingelassen. Er wollte nicht auf dem Parkplatz herumsitzen, also zwang er sich, in eine falsche Richtung zu fahren.
Es hatte Tauwetter gegeben. Es lag noch viel Schnee, aber die blendend harte Winterlandschaft war zerbröckelt. Unter dem grauen Himmel sahen die pockennarbigen Kissen auf den Feldern wie Müllhaufen aus.
In der Stadt in der Nähe von Wiesensee fand er einen Blumenladen und kaufte einen großen Strauß. Er hatte Fiona noch nie Blumen geschenkt. Als er das Heim betrat, fühlte er sich wie ein hoffnungsloser Liebhaber oder ein schuldbewusster Ehemann in einer Witzzeichnung.
»Wow. So früh Osterglocken«, sagte Kristy. »Sie müssen ein Vermögen
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