Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
ausgegeben haben.« Sie ging vor ihm den Flur entlang, knipste in einer Kammer oder einer Art Küche das Licht an und suchte eine Vase. Sie war eine plumpe junge Frau, die aussah, als hätte sie in jedem Bereich aufgegeben, nur nicht bei ihrem Haar. Das war blond und bauschig. All der auftoupierte Luxus im Stil einer Bardame oder einer Stripperin auf solch einem Alltagsgesicht und -körper.
»So«, sagte sie und wies ihn mit einem Kopfnicken den Flur entlang. »Name steht auf der Tür.«
Er fand ihn, auf einem mit Rotkehlchen verzierten Namensschild. Er überlegte, ob er anklopfen sollte, tat es, machte dann die Tür auf und rief ihren Namen.
Sie war nicht da. Die Schranktür war zu, das Bett gemacht. Nichts auf dem Nachttisch, nur eine Schachtel Kleenex und ein Glas Wasser. Kein einziges Foto oder Bild, kein Buch, keine Zeitschrift. Vielleicht musste man die im Schrank aufbewahren.
Er ging zurück zum Schwesternzimmer oder zur Aufnahme oder was es nun war. »Nein?«, sagte Kristy in einem erstaunten Ton, der auf ihn unecht wirkte.
Er zögerte, hielt die Blumen vor sich. Sie sagte: »Na schön – stellen wir den Strauß hier ab.« Seufzend, als sei er ein zurückgebliebenes Kind an seinem ersten Schultag, führte sie ihn über den Flur in den hellen zentralen Aufenthaltsraum mit großen Panoramafenstern und gewölbter Decke. Mehrere Leute saßen in Sesseln entlang der Wände, andere saßen an Tischen in der Mitte des mit Teppichboden ausgelegten Raumes. Niemand von ihnen sah allzu schlimm aus. Alt – manche behindert genug, um Rollstühle zu brauchen aber ordentlich. Als er mit Fiona Mr Farquar besucht hatte, gab es stets unerquickliche Anblicke. Lange weiße Barthaare am Kinn alter Frauen, jemand mit einem herausgestülpten Auge wie eine verfaulte Pflaume. Leute, die sabberten, mit dem Kopf wackelten, irre vor sich hin schwatzten. Jetzt sah es aus, als seien die schlimmsten Fälle ausgesondert worden. Oder vielleicht waren Medikamente und operative Eingriffe in Gebrauch gekommen, vielleicht gab es Möglichkeiten, Entstellungen sowie verbale und andere Arten von Inkontinenz zu behandeln – Möglichkeiten, die es selbst vor diesen wenigen Jahren noch nicht gegeben hatte.
Eine völlig trostlose Frau jedoch saß am Klavier und hackte mit einem Finger auf den Tasten herum, ohne eine Melodie zustande zu bringen. Eine andere Frau, die hinter einer großen Thermoskaffeekanne und einem Stapel Plastiktassen vor sich hin starrte, sah zu Tode gelangweilt aus. Aber sie musste eine Angestellte sein – sie trug wie Kristy einen blassgrünen Hosenkittel.
»Sehen Sie?«, sagte Kristy mit leiserer Stimme. »Sie gehen einfach hin und sagen Hallo und versuchen, sie nicht zu erschrecken. Denken Sie dran, es kann sein, dass sie Sie nicht … Naja. Gehen Sie ruhig.«
Er sah Fiona von der Seite, sie saß bei einem der Kartentische, ohne jedoch zu spielen. Ihr Gesicht sah ein wenig aufgedunsen aus, die Hautfalte einer Wange verdeckte den Mundwinkel, wie sie es bisher nicht getan hatte. Sie sah dem Mann, neben dem sie saß, beim Spielen zu. Er hielt seine Karten so, dass sie hineinschauen konnte. Als Grant an den Tisch trat, blickte sie auf. Alle blickten auf – alle Kartenspieler am Tisch blickten unwirsch auf. Dann schauten sie sofort wieder in ihre Karten, als wollten sie jede Störung abwehren.
Aber Fiona lächelte ihr schiefes, verschämtes, listiges und charmantes Lächeln, schob ihren Stuhl zurück und kam zu ihm, wobei sie den Finger an den Mund legte.
»Bridge«, flüsterte sie. »Todernst. Sie sind alle völlig besessen davon.« Sie zog ihn plaudernd zu dem Kaffeetisch. »Ich kann mich erinnern, dass ich auf dem College eine Zeit lang so war. Meine Freundinnen und ich, wir schwänzten die Kurse, hockten im Gemeinschaftsraum, pafften und spielten wie die Zocker. Eine hieß Phoebe, wie die anderen hießen, weiß ich nicht mehr.«
»Phoebe Hart«, sagte Grant. Er rief sich das kleine hohlbrüstige, schwarzäugige Mädchen ins Gedächtnis, das wahrscheinlich inzwischen tot war. In Rauchschwaden gehüllt, Fiona, Phoebe und die anderen, entrückt wie Hexen.
»Du kanntest sie auch?«, sagte Fiona und richtete jetzt ihr Lächeln an die Frau mit dem versteinerten Gesicht. »Kann ich dir was zu trinken besorgen? Eine Tasse Tee? Der Kaffee ist hier leider nicht besonders.«
Grant trank nie Tee.
Er konnte sie nicht in die Arme schließen. Etwas in ihrer Stimme und ihrem Lächeln, so vertraut sie ihm waren, etwas an der
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