Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Art und Weise, wie sie die Kartenspieler und sogar die Kaffeefrau vor ihm zu schützen schien – wie auch ihn vor deren Unmut –, machte das unmöglich.
»Ich habe dir Blumen mitgebracht«, sagte er. »Ich dachte, die könnten dein Zimmer beleben. Ich bin in deinem Zimmer gewesen, aber du warst nicht da.«
»Nein«, sagte sie. »Ich bin ja hier.«
Grant sagte: »Du hast einen neuen Freund.« Er deutete mit dem Kopf zu dem Mann, neben dem sie gesessen hatte. Im selben Augenblick sah der Mann zu Fiona hoch, und sie drehte sich um, entweder wegen Grants Feststellung oder weil sie den Blick im Rücken gespürt hatte.
»Das ist bloß Aubrey«, sagte sie. »Das Komische ist, ich kannte ihn schon vor vielen, vielen Jahren. Er hat im Laden gearbeitet. In dem Eisenwarenladen, in dem mein Großvater immer eingekauft hat. Ich habe oft mit ihm rumgealbert, und er hat nie den Mut aufgebracht, sich mit mir zu verabreden. Bis zum allerletzten Wochenende, da hat er mich zu einem Baseballspiel mitgenommen. Aber als es aus war, ist mein Großvater gekommen, um mich nach Hause zu fahren. Ich war den Sommer über zu Besuch da. Zu Besuch bei meinen Großeltern – sie haben auf einer Farm gewohnt.«
»Fiona. Ich weiß, wo deine Großeltern gewohnt haben. Da wohnen wir jetzt. Wohnten.«
»Ist wahr?«, sagte sie zerstreut, weil der Kartenspieler ihr seinen Blick sandte, der keine Bitte war, sondern ein Befehl. Er war ein Mann etwa in Grants Alter oder ein wenig älter. Dichte, kräftige weiße Haare fielen ihm in die Stirn, und seine Haut war ledrig, aber bleich, gelblich-weiß wie ein alter verschrumpelter Glacehandschuh. Sein längliches Gesicht war würdevoll und melancholisch, und er hatte etwas von der Schönheit eines kraftvollen, mutlosen alten Pferdes. Aber wo es um Fiona ging, war er nicht mutlos.
»Ich muss wieder zurück«, sagte Fiona, und Röte befleckte ihr neuerdings feistes Gesicht. »Er glaubt, er kann nur spielen, wenn ich daneben sitze. Es ist albern, ich kann das Spiel kaum noch. Du wirst mich leider entschuldigen müssen.«
»Seid ihr bald
»Ich denke schon. Das kommt drauf an. Wenn du diese finster blickende Dame nett bittest, gibt sie dir einen Tee.«
»Danke, ich mag nichts«, sagte Grant.
»Also dann verlasse ich dich jetzt, kannst du dich selbst beschäftigen? Es muss dir alles merkwürdig vorkommen, aber du wirst überrascht sein, wie bald du dich daran gewöhnt hast. Dann wirst du dir gemerkt haben, wer alle sind. Bis auf einige, die so ziemlich jenseits von gut und böse sind, verstehst du – von denen darfst du nicht erwarten, dass sie sich merken, wer du bist.«
Sie schlüpfte wieder auf ihren Stuhl und sagte Aubrey etwas ins Ohr. Sie strich mit den Fingern über seinen Handrücken.
Grant machte sich auf die Suche nach Kristy und fand sie auf dem Flur. Sie schob einen Wagen, auf dem Krüge mit Apfelsaft und Traubensaft standen.
»Einen Moment«, sagte sie und steckte den Kopf in eine Tür. »Jemand hier drin Apfelsaft? Traubensaft? Kekse?«
Er wartete, während sie zwei Plastikbecher füllte und in das Zimmer brachte. Dann kam sie zurück und legte zwei Pfeilwurzkekse auf Pappteller.
»Na?«, sagte sie. »Sind Sie nicht froh, zu sehen, wie sie teilnimmt und alles?«
Grant fragte: »Weiß sie überhaupt, wer ich bin?«
Er vermochte es nicht zu sagen. Sie konnte ihm einen Streich gespielt haben. Das sah ihr durchaus ähnlich. Sie hatte sich durch das kleine Täuschungsmanöver am Schluss verraten, wo sie mit ihm redete, als hielte sie ihn unter Umständen für einen neuen Bewohner.
Falls sie ihn damit täuschen wollte. Falls es ein Täuschungsmöver war.
Aber wäre sie ihm nicht nachgelaufen und hätte gelacht, sobald der Streich vorbei war? Sie wäre doch nicht einfach an den Spieltisch zurückgekehrt und hätte vorgegeben, nicht mehr an ihn zu denken. Das wäre zu grausam gewesen.
Kristy sagte: »Sie haben sie gerade in einem schlechten Moment erwischt. Ins Spiel vertieft.«
»Sie spielt doch gar nicht«, sagte er.
»Ja, aber ihr Freund spielt. Aubrey.«
»Wer ist denn Aubrey?«
»Na eben Aubrey. Ihr Freund. Möchten Sie einen Saft?«
Grant schüttelte den Kopf.
»Ach, schauen Sie«, sagte Kristy. »Sie entwickeln diese Bindungen. Eine Weile steht das an erster Stelle. Busenfreunde und so. Das ist eine Phase.«
»Sie meinen, es kann tatsächlich sein, dass sie nicht weiß, wer ich bin?«
»Kann schon sein. Heute nicht. Morgen dann – man weiß es eben nicht. Das geht
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