Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Formen möge und dass ich ihn an Jane Russell erinnere. Es störte mich nicht, wenn er das sagte, aber meistens war es mir unangenehm, wenn andere etwas über mein Außeres sagten. Besonders, wenn es jemand wie Alfrida sagte – jemand, der alle Bedeutung in meinem Leben verloren hatte. Ich war der Überzeugung, dass solche Menschen kein Recht hatten, mich zu betrachten oder sich Meinungen über mich zu bilden, geschweige denn, sie auszusprechen.
Das Haus war zur Straße hin schmal, aber nach hinten hin lang gezogen. Es gab ein Wohnzimmer, dessen Decke an den Seiten schräg abfiel und dessen Fenster auf die Straße blickten, ein flurartiges Esszimmer ganz ohne Fenster, weil an den Seiten Schlafzimmer mit Mansardenfenstern abgingen, eine Küche, ein Badezimmer auch ohne Fenster, das Tageslicht nur durch eine Tür mit einer Ornamentglasscheibe erhielt, und auf der Rückseite eine verglaste Veranda.
Die schrägen Decken gaben den Zimmern etwas Behelfsmäßiges, als täuschten sie nur vor, Wohnräume und keine Schlafräume zu sein. Aber sie waren mit schweren Möbeln voll gestellt – Esstisch und Stühle, Küchentisch und Stühle, Wohnzimmersofa und Ruhesessel –, alle für größere richtige Zimmer bestimmt. Zierdeckchen auf den Tischen, bestickte weiße Schondeckchen auf den Rücken- und Armlehnen von Sofa und Sesseln, Tüllgardinen vor den Fenstern und schwere geblümte Vorhänge an den Seiten – alles glich den Häusern der Tanten viel mehr, als ich für möglich gehalten hätte. Und an der Esszimmerwand – nicht im Badezimmer oder im Schlafzimmer, sondern im Esszimmer – hing ein Bild, die Silhouette eines Mädchens im Reifrock, gefertigt aus rosa Satinband.
Ein Streifen robustes Linoleum war auf dem Esszimmerboden ausgelegt, für den Weg von der Küche ins Wohnzimmer.
Alfrida schien einiges von dem, was ich dachte, zu erraten.
»Ich weiß, ich hab viel zu viele Möbel hier drin«, sagte sie. »Aber es sind die Möbel meiner Eltern. Alles Erbstücke, und ich konnte mich nicht davon trennen.«
In meiner Vorstellung hatte ich sie nie mit Eltern gesehen. Ihre Mutter war schon vor langer Zeit gestorben, und sie war von meiner Großmutter aufgezogen worden, die ihre Tante war.
»Die von Paps und Mutter«, sagte Alfrida. »Als Paps wegging, hat deine Großmutter sie behalten, denn sie sagte, sie sollten einmal mir gehören, wenn ich groß bin, und da sind sie nun. Ich konnte nicht nein sagen, nachdem sie sich so angestrengt hatte.«
Jetzt fiel er mir wieder ein – der Teil von Alfridas Leben, den ich vergessen hatte. Ihr Vater hatte wieder geheiratet. Er hatte die Farm verlassen und sich Arbeit bei der Eisenbahn besorgt. Er zeugte noch weitere Kinder, und die Familie zog von einer Stadt in die andere, und manchmal erwähnte Alfrida sie, in scherzhafter Weise, die damit zu tun hatte, wie zahlreich die Kinder waren und wie dicht nacheinander sie gekommen waren und wie oft die Familie umziehen musste.
»Komm, ich will dir Bill vorstellen«, sagte Alfrida.
Bill war draußen auf der Veranda. Er saß, als wartete er darauf, gerufen zu werden, auf einer niedrigen Couch oder Bettcouch, auf der eine braune karierte Decke lag. Die Decke war verkrumpelt – er musste bis vor kurzem darauf gelegen haben, und die Rollos vor den Fenstern waren alle vollständig heruntergezogen. Das Licht im Zimmer – das heiße Sonnenlicht, das durch die regenfleckigen gelben Rollos fiel – und die verkrumpelte, raue Decke und das ausgeblichene, eingedrückte Kissen, sogar der Geruch der Decke und der männlichen Pantoffeln, alte, ausgetretene Pantoffeln, die ihre Form und ihr Muster eingebüßt hatten, erinnerten mich – ebenso wie die Schondeckchen und die schweren Möbelstücke und das Satinband-Mädchen an der Wand – an die Häuser meiner Tanten. Auch da konnte man auf eine verwohnte männliche Höhle stoßen mit ihren verstohlenen, aber hartnäckigen Gerüchen, ihrem verschämten, aber störrischen Widerstand gegen das weibliche Regiment.
Bill jedoch stand auf und schüttelte mir die Hand, wie die Onkels es nie bei einem fremden Mädchen getan hätten. Oder bei irgendeinem Mädchen. Keine besondere Unhöflichkeit hatte sie zurückgehalten, sondern nur die Furcht, förmlich zu wirken.
Er war ein großer Mann mit welligen, glänzenden grauen Haaren und einem glatten, aber nicht mehr jungen Gesicht. Ein gut aussehender Mann, dem die Kraft seines guten Aussehens irgendwie abhanden gekommen war – durch schlechte
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