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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Anglistik, Philosophie. Wir wissen nicht, was wir mit denen anfangen sollen. Die können einfach nicht schreiben. Das hab ich dir doch erzählt?«, sagte sie zu Bill, und Bill sah auf und schenkte ihr sein pflichtschuldiges Lächeln.
    Sie ließ das eine Weile wirken.
    »Was machst du, wenn du dich amüsieren willst?«, fragte sie.
    Zu der Zeit wurde in einem Theater in Toronto
Endstation Sehnsucht
gespielt, und ich erzählte ihr, dass ich mit Freunden per Bahn hingefahren war, um es zu sehen.
    Alfrida ließ Messer und Gabel klappernd auf den Teller fallen.
    »Diesen Dreck«, schrie sie. Sie reckte mir ihr Gesicht entgegen, das vor Abscheu verzerrt war. Dann sprach sie ruhiger, aber immer noch mit giftigem Widerwillen.
    »Du bist
das ganze Ende bis nach Toronto
gefahren, um diesen Dreck zu sehen!«
    Wir waren mit dem Nachtisch fertig, und Bill suchte sich diesen Moment aus, um zu fragen, ob wir ihn entschuldigen würden. Er fragte erst Alfrida und dann mit einer angedeuteten Verbeugung mich. Er ging wieder auf die Veranda, und nach kurzer Zeit rochen wir seine Pfeife. Alfrida sah ihm nach und schien mich und das Stück zu vergessen. Ihr Gesicht trug einen Ausdruck so verzweifelter Zärtlichkeit, dass ich, als sie aufstand, dachte, sie wollte ihm nachgehen. Aber sie ging nur ihre Zigaretten holen.
    Sie hielt sie mir hin, und als ich eine nahm, sagte sie mit angestrengter Lustigkeit: »Wie ich sehe, hast du immer noch die schlechte Angewohnheit, die ich dir beigebracht habe.« Vielleicht hatte sie sich daran erinnert, dass ich kein Kind mehr war und niemand mich zwingen konnte, sie zu besuchen, und dass es sinnlos war, sich mit mir zu überwerfen. Und ich wollte mich nicht streiten – es war mir gleichgültig, was Alfrida über Tennessee Williams dachte. Oder was sie über irgend sonst etwas dachte.
    »Na ja, ist wohl deine Angelegenheit«, sagte Alfrida. »Du kannst hinfahren, wo du willst.« Und sie fügte hinzu: »Schließlich – bald bist du eine verheiratete Frau.«
    Bei ihrem Tonfall konnte das entweder bedeuten: »Ich muss zugeben, dass du jetzt erwachsen bist«, oder: »Bald wirst du kuschen müssen.«
    Wir standen auf und räumten den Tisch ab. Bei der Arbeit dicht beieinander in dem engen Raum zwischen dem Küchentisch und der Anrichte und dem Kühlschrank entwickelten wir bald, ohne darüber zu reden, eine bestimmte Ordnung und Harmonie, abzukratzen und zu stapeln und Übriggebliebenes in kleinere Vorratsbehälter zu tun und heißes Seifenwasser in die Spüle einzulassen und sich auf jedes unbenutzte Besteckteil zu stürzen und es in die mit grünem Flanell ausgeschlagene Schublade im Esszimmerbuffet zu legen. Wir holten den Aschbecher in die Küche und pausierten immer wieder kurz, um ganz routiniert zur Stärkung an unseren Zigaretten zu ziehen. Es gibt Dinge, über die Frauen sich einigen oder nicht einigen, wenn sie so zusammenarbeiten – ob sie zum Beispiel rauchen können oder lieber doch nicht, weil Ascheflöckchen sich auf einen sauberen Teller verirren könnten, oder ob jedes einzelne Stück, das auf dem Tisch gestanden hat, abgewaschen werden muss, egal, ob es benutzt worden ist oder nicht –, und es stellte sich heraus, dass Alfrida und ich uns einig waren. Außerdem machte mich der Gedanke wegzukönnen, sobald der Abwasch fertig war, entspannter und großzügiger. Ich hatte ihr schon gesagt, dass ich am Nachmittag zu einer Freundin müsse.
    »Das Geschirr ist hübsch«, sagte ich. Es war cremefarben, leicht gelblich, mit einem Rand blauer Blümchen.
    »Ja – das war das Hochzeitsgeschirr meiner Mutter«, sagte Alfrida. »Das war eine weitere gute Tat deiner Großmutter für mich. Sie hat das ganze Geschirr meiner Mutter eingepackt und aufbewahrt, bis ich es benutzen konnte. Jeanie wusste gar nicht, dass es das gab. Es hätte auch nicht lange gehalten, bei der Meute.«
    Jeanie. Die Meute. Ihre Stiefmutter und die Halbbrüder und -schwestern.
    »Du weißt doch davon?«, fragte Alfrida. »Du weißt, was meiner Mutter passiert ist?«
    Natürlich wusste ich es. Alfridas Mutter war gestorben, als eine Lampe in ihren Händen explodierte – das heißt, sie starb an Verbrennungen, die sie sich holte, als eine Petroleumlampe in ihren Händen explodiert war –, und meine Tanten und meine Mutter hatten regelmäßig darüber geredet. Nichts konnte über Alfridas Mutter oder Alfridas Vater gesagt werden und sehr wenig über Alfrida selbst, ohne dass dieser Tod zur Sprache kam und hinzugefügt

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