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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Gesundheit oder Pech im Leben oder mangelndes Rückgrat. Aber er besaß immer noch eine abgenutzte Höflichkeit, eine Art, sich Frauen zuzuwenden, die andeutete, die Begegnung werde ein Vergnügen sein, für sie und auch für ihn.
    Alfrida wies uns ins Esszimmer, wo mitten an diesem sonnigen Tag das Licht brannte. Ich gewann den Eindruck, dass das Essen schon seit einiger Zeit fertig war und dass meine verspätete Ankunft ihren üblichen Tagesablauf verzögert hatte. Bill servierte das gebratene Huhn und die Füllung, Alfrida das Gemüse. Alfrida sagte zu Bill: »Schatz, was meinst du wohl, was das neben deinem Teller ist?«, worauf er sich besann und zu seiner Serviette griff.
    Er hatte nicht viel zu sagen. Er bot mir die Soße an, er erkundigte sich, ob ich die Senfgürkchen oder Salz und Pfeffer wollte, er folgte der Unterhaltung, indem er abwechselnd Alfrida und mich ansah. Hin und wieder stieß er zwischen den Zähnen einen leisen Pfeifton aus, ein zittriges Geräusch, das offenbar freundlich und anerkennend gemeint war und das ich anfangs als Auftakt für eine Bemerkung verstand. Es kam aber nie eine, und Alfrida wartete auch nie darauf. Ich habe seitdem trockene Alkoholiker gesehen, die sich ähnlich benahmen wie er – verbindlich allem beipflichtend, aber unfähig, das Gespräch voranzubringen, rettungslos geistesabwesend. Ich habe bis heute keine Ahnung, ob das auf Bill zutraf, aber er machte den Eindruck, eine Geschichte von Niederlagen, von erduldeten Leiden und gelernten Lektionen mit sich herumzutragen. Auch wirkte er, als hätte er sich ritterlich mit dem abgefunden, was ihm fehlgeschlagen oder nicht in Erfüllung gegangen war.
    Das seien tiefgefrorene Erbsen und Möhren, sagte Alfrida. Tiefkühlgemüse war zu der Zeit relativ neu.
    »Sie lassen die aus der Dose weit hinter sich«, sagte sie. »Sie sind genauso gut wie frische.«
    Darauf gab Bill eine ganze Erklärung ab. Er sagte, sie seien besser als frische. Die Farbe, der Geschmack, alles sei besser als bei frischen. Er sagte, es sei erstaunlich, was man inzwischen alles tun könne und was in Zukunft alles durch Tiefkühlen möglich sein werde.
    Alfrida beugte sich lächelnd vor. Sie schien fast den Atem anzuhalten, als wäre er ihr Kind, das die ersten Schritte oder die ersten wackligen Fahrradmeter ohne Hilfe zurücklegte.
    Es gebe eine Methode, Hühnern etwas zu spritzen, erzählte er, es gebe ein neues Verfahren, da werde ein Huhn wie das andere, fleischig und schmackhaft. Das Risiko, ein minderwertiges Huhn zu erwischen, das sei vom Tisch.
    »Bills Gebiet ist die Chemie«, sagte Alfrida.
    Als ich darauf nichts zu sagen wusste, fügte sie hinzu: »Er hat für Gooderhams gearbeitet.«
    Immer noch nichts.
    »Die Brennerei«, sagte sie. »Gooderhams Whisky.«
    Auch darauf wusste ich nichts zu sagen, und zwar nicht, weil ich unhöflich sein wollte oder mich langweilte (jedenfalls nicht unhöflicher, als ich zu der Zeit ohnehin war, oder gelangweilter, als ich erwartet hatte), sondern weil ich nicht begriff, dass ich Fragen stellen sollte – Fragen nahezu jeder Art, um einen schüchternen Mann ins Gespräch zu ziehen, um ihn aus seiner Geistesabwesenheit herauszuholen, ihn als Mann von gewisser Autorität hinzustellen und von da her als den Herrn des Hauses. Ich begriff nicht, warum Alfrida ihn mit einem so stramm ermutigenden Lächeln ansah. Meine sämtlichen Erfahrungen einer Frau mit einem Mann, einer Frau, die ihrem Mann zuhört, in der großen Hoffnung, dass er sich als jemand durchsetzen wird, auf den sie einigermaßen stolz sein kann, lagen in der Zukunft. Meine Beobachtungen von Ehepaaren beschränkten sich auf meine Tanten und Onkel und auf meine Mutter und meinen Vater, und nach meinem Eindruck hatten diese Ehemänner und -frauen ferne, fest geformte Verbindungen und kein erkennbares Vertrauensverhältnis zueinander.
    Bill aß weiter, als habe er die Erwähnung seines Berufs und seines Arbeitgebers nicht gehört, und Alfrida begann, mich nach meinen Kursen zu fragen. Sie lächelte immer noch, aber ihr Lächeln hatte sich verändert. Es bekam einen Stich ins Ungeduldige und Unwirsche, als wartete sie nur darauf, dass ich ans Ende meiner Ausführungen gelangte, damit sie sagen konnte, wie sie es dann auch tat: »Nicht für eine Million Dollar würdest du mich dazu kriegen, dieses Zeug zu lesen.«
    »Das Leben ist zu kurz«, sagte sie. »Weißt du, drüben bei der Zeitung kriegen wir manchmal welche, die haben sich das draufgeschafft.

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