Himmel und Hölle
Weihnachten noch Silvester einen Fuß vor unsere Tür gesetzt.
Es ging mir so dreckig, dass ich meine Schwiegereltern um Hilfe bat.
»Minilein, gib Mami das Telefon«, wimmerte ich. Mit zitternden Fingern wählte ich die Nummer meiner Schwiegereltern, die ja in unmittelbarer Nähe wohnten, und stammelte auf ihren Anrufbeantworter: »Bitte, helft mir, ihr müsst sofort kommen. Ich kann nicht mehr!«
Doch die Schwiegereltern haben diese Nachricht nie abgehört. Sie waren leider nicht erreichbar.
So lag ich abends am ersten Januarsonntag auf dem weißen Sofa im Wohnzimmer, das Nicole normalerweise alle drei Wochen abzog, wegen der Flecken.
Am Abend des zweiten Januar zierte dieses weiße Sofa jedoch der schlimmste aller Flecken. Durch die Naht an meinem Hinterkopf lief langsam Gehirnflüssigkeit aus. Wie aus einem tropfenden Wasserhahn. Da
bekommt man es schon mit der Angst, wenn so eine komische Flüssigkeit aus dem Kopf kommt!
Stefan rief sofort in der Neurochirurgie an. »Es ist Gehirnflüssigkeit ausgetreten!«
»Es hilft nichts«, sagte man ihm besorgt. »Sie müssen sofort kommen.«
Als Stefan begann, meine Notfalltasche zu packen, begannen die Kinder fürchterlich zu schreien.
»Du hast VERSPROCHEN, dass du jetzt immer bei uns bleibst!«
Die fünfjährige Mini drosch mit den Fäusten auf das Sofa ein.
»Du bist eine Lügen-Mami!«, schrie der kleine Konstantin. »Eine Versprechensbrecherin!« Verzweifelt trat er nach seinem Fußball, der mir nur so um die Ohren flog. Stefan blieb nichts anderes übrig, als ihn in seinem Zimmer einzusperren.
Die Zwillinge, die bis vor Kurzem geschlafen hatten, stimmten in das verzweifelte Gebrüll mit ein. Keiner konnte sich um sie kümmern. Wir ließen sie notgedrungen in ihren Bettchen liegen.
»Gehst du jetzt zum Sterben ins Krankenhaus?«, fragte meine Mini wimmernd und klammerte sich an mich. Währenddessen hämmerte Konstantin von innen mit den Fäusten gegen seine Zimmertüre.
»Mini, du musst jetzt ganz stark sein. Du bist jetzt die Frau im Haus«, beschwor Stefan unsere Fünfjährige. »Ich bringe nur schnell die Mami in die Klinik und bin gleich wieder da. Nicole kommt und passt so lange auf euch auf.«
»Wird die Mami sterben?«
»Nein. Die Mami kommt wieder. Versprochen.«
In mir drehte sich alles, ich taumelte, musste mich übergeben.
Ich kotzte in den Flur.
Stefan packte mich und schleifte mich durch den verschneiten Vorgarten zum Auto.
Die Kinder brüllten sich die Seelen aus dem Leib.
Ich weiß nicht, wie ich diesen Abschied überlebt habe.
35
»Frau Kuchenmeister, sind Sie ansprechbar?«
Wie aus einem Nebelschleier sah ich die Gestalt von Professor Breitner auf mich zukommen. Man hatte mir natürlich doch wieder Drogen verabreicht. Vielleicht war diese weiße Gestalt aber auch mein Todesengel. Jetzt verkündet er mir die Todesnachricht, dachte ich. Jetzt werde ich sterben.
»Ich habe hier die Befunde!« Ich sah, wie die weiß bekittelte Gestalt über meinem Gesicht mit einem braunen Umschlag wedelte.
»Welche Befunde?«, lallte ich desorientiert.
»Das Histologie-Ergebnis ist negativ!«
»Wie?« Negativ. Das war doch was Schlechtes. Oder umgekehrt? War positiv schlecht? Und negativ gut? Ich war durcheinander.
»Ihr Gehirntumor ist ein Meningeom! Gutartig! Keine Metastase!«
Die Stimme des Professors traf mich wie ein Punchingball. Gut-ar-tig-gut-ar-tig-gut-ar-tig …
»Ach!«, rang ich mir von den ausgedörrten Lippen.
»Es hatte gar nichts mit Ihrem Gebärmutterkarzinom zu tun!«
Täuschte ich mich, oder wischte sich der Professor
verstohlen über die Augen? »Professor Aigner ist auch schon informiert. Er lässt Sie ganz herzlich grüßen!«
»Ich werde also nicht … sterben?«
»Es gibt keine Streuung von unten«, redete der Professor weiter. »Mein geschätzter Kollege Aigner scheint ganze Arbeit geleistet zu haben.«
Eine wohlige Wärme breitete sich in meinem Körper aus, und die Lichter an der Decke schienen sich zu drehen. Sie tanzten Walzer miteinander!
»Ich habe also keinen bösartigen Tumor im Gehirn, keine Lähmung …?«
»Nein. Sie können sich jetzt wieder ausschließlich auf Ihren Unterleibskrebs konzentrieren. Ist das nicht toll?«
»Wie …?«
»Also auf die Chemo, meine ich.«
»Oh. Ähm … super. Danke. Wie schön.«
»Und auf Ihre Haare«, sagte die Schwester, die dabeistand.
»Dann darf ich also wieder nach Hause?« Meine Stimme klang so wackelig und dünn wie die meiner Mini.
»Ja, Frau
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