Himmel und Hölle
nicht sterben. Die Kinder brauchen DICH und nicht irgendeine andere Frau. Und ich brauche dich auch. Wir haben doch nicht all die Jahre gekämpft und geschuftet, nur damit jetzt alles … aus ist? Konstanze, ich schaffe das nicht ohne dich! Du musst bei uns bleiben! Ich liebe dich!«
Jetzt kamen mir auch wieder die Tränen. Wir sahen einander an, weinten und klammerten uns aneinander.
»Geht es Ihnen gut?«
Was für eine saudämliche, bescheuerte Frage.
Nein, es ging uns NICHT gut. Aber der Oberarzt, der jetzt plötzlich im Raum stand, wusste wohl auch nicht, was er sonst sagen sollte. In amerikanischen Filmen fragen sie auch immer »Are you okay?«, wenn gerade New York in Flammen aufgeht oder jemand von einem Jeep überfahren wurde.
Er meinte es ja nur gut. Manchmal ist man als Arzt schlichtweg überfordert.
Ich versuchte sogar jetzt noch, mich in den Kollegen hineinzuversetzen. Er hatte Wochenenddienst, und dann gleich so einen schweren.
Der Oberarzt klärte uns nochmals ausführlich über den operativen Eingriff und dessen Risiken auf. Das war sein Job.
Wir nickten und unterschrieben und kamen uns vor wie Marionetten, die nur noch an einem seidenen Fädchen hingen.
33
Als ich aufwachte, lag ich auf der Intensivstation in einer Art Aquarium. Hinter der Glasscheibe stand ein halbes Dutzend grün gekleidete Menschen, die mich beobachteten. Immerhin handelte es sich um die Uniklinik, und an mir konnte und wollte man noch was lernen. Das Erste, was ich akustisch wahrnahm, war der mir vertraute Medizinerjargon: »Einspannen des Kopfes der Patientin in die Mayfieldhalterung, über einen Längsschnitt typische osteoklastische Trepanation mit Entfernung des Atlasbogens. Der bräunlich-graue, zum Teil rötliche Tumor wurde schrittweise komplett entfernt. Die Cisterna magna war nach caudal komprimiert und wurde geöffnet. Nach Umlagerung erfolgte ein frontales Bohrloch an typischer Stelle.«
Wie schön, dass ich das alles verstand! Auf gut Deutsch: Man hatte mir am Hinterkopf ein zehn Zentimeter großes Loch rausgesägt, um den Tumor zu entfernen. Darüber hinaus hatte man mir vorn über der Stirn den Kopf zehn Zentimeter weit aufgesägt, um den Hirndruck wegzunehmen, und mich dann zunächst ins künstliche Koma versetzt.
Apropos: Ich lebte offensichtlich noch.
Eigentlich bestand ich nur noch aus Kopfschmerz. Meine erste Sorge galt jedoch der angedrohten halbseitigen Lähmung. Das musste ich zuallererst abklären. War ich gelähmt?
Ganz vorsichtig versuchte ich, mich zu bewegen. Au, tat das weh! Trotzdem spürte ich dankbar den Schmerz, der meine Glieder durchzuckte. Ich hatte Gefühl in den Beinen! Ich war nicht gelähmt!
Okay, dachte ich. Das ist ja schon mal ein Anfang. Du schaffst es, Konstanze! Du schaffst es! Ich fühlte mich wie eine Schnecke, die einen Marathon läuft.
»Sie wacht auf!«
Drei der Grünkittel drängten sich aufgeregt herein, die übrigen mussten wegen Platzmangels draußen bleiben.
»Na, wie geht es unserer Kollegin?« Der Professor starrte mich gespannt über seinen Mundschutz hinweg an.
Das möchte ich gern von Ihnen wissen, Herr Kollege, ging es mir durch den Kopf.
»Wie ist der Druck?«, fragte ich, als ob ich als Ärztin hier wäre.
»Er ist gut«, beruhigte mich der Professor. »Wir haben den Hirndruck unter Kontrolle!« Und dann nannte er einen Wert, den ich zwar akustisch wahrnahm, aber sofort wieder vergaß.
Als frisch Hirnoperierte vergaß ich sogar, dass ich schon mal gefragt hatte. Und so fragte ich ständig von Neuem:
»Wie ist der Druck?«
»Gut, Frau Kuchenmeister, alles im grünen Bereich! Die Werte sind prima …«
»Und wie ist der Druck?«
Ich versuchte mich aufzurichten, um die Werte selbst ablesen zu können. Ich war wie besessen: Wenn der Druck gut war, wollte ich aufstehen und nach Hause gehen.
Natürlich behielt man mich zwei Wochen lang in diesem gläsernen Aquarium, unter strengster Aufsicht.
Ich fühlte mich wie ein Affe im Zoo. Ständig drückten sich irgendwelche Grüngekleideten die Nasen an der Scheibe platt, diskutierten, nickten und staunten. Manchmal war auch Stefan dabei. Ich hörte ihn schon von Weitem lärmen und schimpfen, weil man ihn nicht jederzeit auf die Intensivstation lassen wollte.
Normalerweise gibt es feste Besuchszeiten, und die wenigen Angehörigen, die sich überhaupt in die Katakomben der Intensivstation vorwagen, tätscheln ein paar Minuten leise murmelnd die Hand des vor sich hin vegetierenden Patienten und trollen
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