Himmelsfelsen (Krimi-Edition)
sich und legte auf.
Er erhob sich, schaute auf die Straße hinunter und verspürte Magenschmerzen und Bauchweh. Zwei Tote an einem Tag, das war nicht einfach zu verkraften, auch nicht für einen Geschäftsmann, der es gewohnt war, mit den Widrigkeiten des Alltags umzugehen. Dass seine alte Tante sterben würde, damit hatte er seit Tagen rechnen müssen. Am Montag hatte sich der Zustand, wie ihm die Pflegestations-Leiterin bei seinem routinemäßigen Anruf gesagt hatte, dramatisch verschlechtert. Mehr als vier, fünf Tage hatten die Ärzte ihr nicht mehr geben wollen. Er ging zu der großen Schrankwand, deren dunkles Holz sie besonders wuchtig erscheinen ließ, und öffnete eine Klappe, hinter der sich ein verspiegeltes Getränke-Fach verbarg. Ein doppelter Whisky würde ihm jetzt gut tun.
10
Im Lehrsaal des Geislinger Polizeireviers trafen nacheinander die Kriminalisten ein, denen Häberle mit seinem Anruf den Feierabend versaut hatte. Er begrüßte sie mit Handschlag und erläuterte in knappen Worten, worum es ging. Drei jüngere Kollegen begannen, irgendwelche Strippen für die Computer zu ziehen. Der Raum bot genügend Platz für eine mehrköpfige Sonderkommission. An der Stirnseite war eine Schultafel angebracht. Die Fenster standen weit offen. Noch immer lag eine drückende Schwüle über der Stadt, auch wenn die Schatten inzwischen länger geworden waren.
Häberle setzte sich an die Stirnseite einer der beiden langen Tischreihen und blickte in die Runde, die jetzt aus einem halben Dutzend Kollegen bestand.
»Okay«, sagte er schließlich, »ich hab’ die Jungs von der Spurensicherung schon mal da hochgeschickt. Die sollen sich umsehen, solang es noch hell ist.«
Mike Linkohr, der junge Kollege, der mit Häberle im Wald gewesen war, meldete sich zu Wort: »Den Stecken nicht vergessen.«
Häberle wusste sofort, was gemeint war und griff den Hinweis dankbar auf.
Er berichtete von dem kurzen Ausflug, den er zur Mittagszeit mit Linkohr unternommen hatte und dass diesem dort ein offenbar achtlos weggeworfener Stecken merkwürdig erschienen sei. Häberle wandte sich an den jungen Kollegen: »Funken Sie den Jungs von der Spurensicherung, sie sollen das Ding sicherstellen. Schildern Sie ihnen genau, wo es liegt.«
Linkohr bestätigte mit einem »okay«. Er verließ den Lehrsaal, um zur Wache hinunterzugehen, wo sich die Funkeinrichtungen befanden.
»Wie viele Kollegen kommen noch?«, fragte ein anderer Kriminalist.
»Ich hab’ veranlasst, dass noch fünf aus Göppingen verständigt werden«, sagte Häberle, »Inwieweit man sie allerdings an einem solchen Abend erreichen kann, ist natürlich eine andere Frage.« Dann fügte er hinzu: »Wir müssen zunächst das persönliche Umfeld des Opfers durchkämmen. Freunde, Frauen, Beruf. Wo war er gestern Abend, vergangene Nacht? Was sagen Angehörige?«
Markus Schmidt, der Schnauzbärtige, fiel ihm ins Wort: »Es gibt nur den Bruder und der ist stadtbekannt.«
»Ich weiß, ja«, erwiderte Häberle, »dann muss er uns ein bisschen mehr erzählen. Sie haben ihn ja schon kurz vernommen, aber nun brauchen wir mehr Details. Der Tote ist ein Disco-Besitzer, da gibt’s sicher jede Menge Anknüpfungspunkte.«
Brütende Hitze auch in Ulm. Hier, südlich der Schwäbischen Alb, brachte selbst die Donau kein kühles Lüftchen mit. Der Turm des Münsters stand im hellsten Sonnenschein, als draußen im Industriegebiet Donautal ein schwarzer Mercedes der S-Klasse über einen großen leeren Parkplatz rollte. Fast lautlos stoppte der schwere Wagen vor einem langgezogenen, flachen Gebäude, das den Eindruck eines Supermarkts erweckte. Im hinteren Bereich erhob sich ein zweigeschossiger Trakt, der vermutlich einmal die Büros beherbergt hatte. Jetzt waren die Fenster mit Vorhängen versehen.
Über einem großen Portal, das offenbar nachträglich in das beton-triste Supermarkt-Gebäude eingefügt worden war, stand mit rosa-roter, geschwungener Leuchtschrift ›High-Noon‹ zu lesen. Jetzt, gegen halb sieben, waren die Lichter noch aus. An den Fabrikhallen, die sich an den Parkplatz anschlossen, wurden Lastwagen beladen, Gabelstapler tuckerten mit Kisten und Paketen über die Firmengelände.
Das ›High-Noon‹ würde erst lange nach Sonnenuntergang zum Leben erwachen. Nur Insider wussten, dass sich hier Ulms beliebteste und renommierteste Diskothek befand. Der Mercedes parkte ganz dicht neben dem goldfarbenen Portal, mit dem die Exklusivität des Innenraums nach außen
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