Himmelsfelsen (Krimi-Edition)
Notizbuch und suchte die Privatnummer von Kriminalrat Helmut Bruhn. Augenblicke später hatte er ihn bereits an der Leitung.
»Tut mir leid, Chef«, sagte Häberle, »aber der Eybacher Fall hat sich zu einem Verbrechen entwickelt.«
»Und was bedeutet dies im Klartext?« Der Chef wollte immer gleich klare Fakten hören und verabscheute Geschwafel.
»Unser Mann wurde vom Felsen gestoßen«, erwiderte Häberle deshalb knapp.
»Das sagen die Gerichtsmediziner, oder was?« Bruhns arrogante Art kam nie gut an. Auch Häberle verspürte eine Abneigung dagegen.
»Ja, die haben nicht den geringsten Zweifel«, entgegnete der Kriminalist.
»Also, dann wird sofort eine Soko gebildet. Veranlassen Sie das Nötige.«
Häberle lehnte sich zuerst einmal zurück. Dann begann er, nacheinander die Privat- und Handynummern seiner Geislinger Kripo-Kollegen ins Telefon einzutippen. Nachdem er sie alle erreicht und zum sofortigen Dienstantritt verdonnert hatte, rief er noch seine Frau an und erklärte ihr, dass es später werden würde. Sie war solche Anrufe gewohnt. Und er war dankbar dafür, dass sie für seinen Job Verständnis hatte.
Zuletzt verständigte Häberle pflichtgemäß auch noch den Leiter des Geislinger Polizeireviers, der ebenfalls längst zu Hause war.
»Der Himmelsfelsen, also doch«, erwiderte der Erste Polizeihauptkommissar Manfred Watzloff, nachdem ihm Häberle das Obduktionsergebnis mitgeteilt hatte, »wir müssen jetzt nur aufpassen, dass die Sache keinen falschen Dreh kriegt. Sie wissen ja, der Bruder ist einflussreich und nicht gerade sehr bequem.«
»Glauben Sie bloß nicht, ich mach’ mir ins Hemd«, konterte Häberle. Er wusste nur allzu gut, wie sehr in der Provinz darauf geachtet wurde, niemanden in ein falsches Licht zu rücken. Das konnte Verwicklungen auslösen, die bis in die höchsten Ebenen des Innenministeriums reichten. Mancher Kommunalpolitiker, das hatte die Vergangenheit bereits gelehrt, wartete nur darauf, seine Beziehungen innerhalb seiner Partei spielen lassen zu können.
Daniel Fronbauer war froh gewesen, den Kripo-Termin um die Mittagszeit hinter sich gebracht zu haben. Bei Behörden fühlte er sich oftmals in die Enge getrieben. Das war bei seinen geschäftlichen Gesprächen ganz anders. Da konnte er selbstbewusst auftreten, überzeugen und geschliffen formulieren. Er war schweißgebadet in sein Büro in der Karlstraße gefahren und hatte seinen Mercedes in der Tiefgarage geparkt. Seine Büroräume befanden sich im zweiten Obergeschoss eines wenig gelungenen Wohn- und Bürokomplexes, der erst vor wenigen Jahren errichtet worden war. Die Sekretärin war bereits gegangen, hatte ihm jedoch mehrere Notizen und Akten auf den großen Schreibtisch aus dunklem Holz gelegt. Fronbauer empfand die Luft noch stickiger, als an den vergangenen Tagen. Er öffnete ein Fenster, sodass der Verkehrslärm zu hören war. Dann ließ er sich seufzend in seinen Chef-Sessel fallen und blickte in den großen, repräsentativen Raum hinein, der in einer Ecke von einem hochgewachsenen Philodendron dominiert wurde.
Er begann die handschriftlichen Zettel zu sortieren. Anrufe von Kunden, Anfragen, Beschwerden von Architekten, dies alles hatte seine Sekretärin fein säuberlich notiert. Nur ein Zettel war mit greller gelber Leuchtstift-Farbe gekennzeichnet. ›Dringend‹, hatte die Sekretärin drübergeschrieben und zweimal unterstrichen. Fronbauer las: »Samariterstift anrufen wg. Frau Neugebauer.« Dann folgte die Telefonnummer.
Fronbauer stutzte und atmete tief durch. Dann tippte er die Nummer in die Tastatur seines Telefons. Es meldete sich eine Frauenstimme.
»Samariterstift, Riedmüller.« Fronbauer wusste, dass es die Leiterin jener Pflegegruppe war, in der seine Tante seit geraumer Zeit versorgt wurde.
»Fronbauer hier«, sagte er, nichts Gutes ahnend, »ich soll Sie anrufen.«
»Ja, grüß Gott, Herr Fronbauer«, die Frau stockte, »es tut mir leid, aber ich hab’ keine gute Nachricht für Sie.«
Fronbauer lehnte sich zurück und schaute zur Decke. Er wollte es hinter sich bringen und fragte: »Ist sie tot?«
»Ja, ganz ruhig eingeschlafen«, sagte die Frauenstimme, »ich glaube, es war auch besser für sie, eine Erlösung.«
»Ja, gewiss, eine Erlösung«, wiederholte Fronbauer. Es trat eine kurze Pause ein. Dann fuhr Fronbauer in seinem sachlichen Ton fort: »Was muss ich veranlassen?«
Die Pflegestations-Leiterin bat ihn, ein örtliches Bestattungsinstitut zu beauftragen. Fronbauer bedankte
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