Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsfelsen (Krimi-Edition)

Himmelsfelsen (Krimi-Edition)

Titel: Himmelsfelsen (Krimi-Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Bomm
Vom Netzwerk:
mal nach Hause gehen und duschen. Sie können mich aber jederzeit per Handy erreichen.« Mit diesen Worten übergab er seine Visitenkarte und ging.

9
    Das Alten- und Pflegeheim Samariterstift war erst vor wenigen Jahren gebaut worden. Ein zwar modernes, aber stilvolles Gebäude auf dem Gelände einer alten Fabrik, die Mitte des 19. Jahrhunderts in unmittelbarer Nähe zum Stadtkern entstanden war. Zumindest die vitalen Senioren konnten somit direkt am Rande der City wohnen und deren Angebote in Anspruch nehmen.
    Ein Teil der Zimmer war jedoch von bettlägerigen Menschen belegt, die praktisch rund um die Uhr der Pflege bedurften. Dabei handelte es sich meist um Alte, die auch noch geistige Behinderungen aufwiesen. Nicht selten kam es vor, dass die Patienten kaum noch Angehörige hatten oder dass sich diese nicht um sie kümmerten. Amalie Neugebauer, 96 Jahre alt und seit vier Jahren bereits ein Pflegefall, bekam selten Besuch. Die einzigen Verwandten, die es in ihrer kleinen Familie noch gab, waren ihre beiden Neffen, zwei gestandene Männer, die jedoch beide beruflich stark eingespannt waren. Solange die alte Tante noch geistig auf der Höhe gewesen war, hatte sie die Arbeit ihrer Neffen stets mit Interesse verfolgt und Verständnis dafür gezeigt, dass sie nur selten zu Besuch kommen konnten. Seit geraumer Zeit verschlechterte sich ihr Zustand aber sowieso von Woche zu Woche. Dass sich einer ihrer Neffen wenigstens regelmäßig telefonisch bei der Stationsleiterin nach ihr erkundigte, blieb ihr also verborgen.
    Amalie Neugebauer war vor einem halben Jahrhundert eine angesehene Geschäftsfrau in dieser Stadt gewesen. Zusammen mit ihrem verstorbenen Mann hatte sie ein Modehaus geführt. Später vermieteten sie ihr Anwesen mitten in der Altstadt mit mäßigem Erfolg an wechselnde Ladeninhaber. Seit nunmehr zehn Jahren stand fast der gesamte Gebäudekomplex leer und gammelte vor sich hin. Nur eine einzige Wohnung war vermietet. Dass sich keine weiteren Mieter fanden, daran freilich war die alte Dame nicht ganz unschuldig. Denn solang sie noch gesund war, hatte sie zwar mit einer Vielzahl von Miet-Interessenten verhandelt, sie aber allesamt durch überhöhte Mietforderungen vergrault. Wahrscheinlich war es dem Altersstarrsinn zuzuschreiben, der sie nicht hat einlenken lassen. Lieber hatte sie auf einen Mieter verzichtet, als dass sie von ihren Vorstellungen abgewichen wäre. Auch zum Leidwesen der Stadtplaner, die sich durch diese unnachgiebige Haltung der alten Dame in ihren Konzepten eingeengt sahen.
    An diesem Nachmittag hing in den Fluren des Samariterstifts stickige Luft. Das Gebäude war architektonisch ansprechend eingerichtet worden. Keine langen Korridore, keine Krankenhausatmosphäre. Stattdessen viel Grün, viele Ecken und Winkel mit Sitzgruppen. Vieles davon erinnerte eher an ein Hotel.
    Die Leiterin der Pflegestation, Gerda Riedmüller, eine kleine, dickliche Frau, die schon viele Schicksale miterlebt hatte, und es trotzdem verstand, stets ausgeglichen und beruhigend zu wirken, war gerade in ihr Büro gegangen, um die Tagesberichte des Personals zu lesen. Über jeden Pflegefall musste exakt Buch geführt werden. Während sie die Aufzeichnungen überprüfte, dachte sie an ihre derzeit gebrechlichste Patientin: Amalie Neugebauer. Vielleicht war Telepathie im Spiel. Schon oft hat die Pflegestations-Leiterin feststellen müssen, dass ihr plötzlich ein Patient in den Sinn kam, der an der Schwelle des Todes stand. Sie war davon überzeugt, dass ein Mensch in solchen Momenten Signale aussendet, die andere, wenn sie dafür empfänglich sind, aufnehmen können. Da sie schon viel darüber gelesen hatte, stand für sie außer Frage, dass der Tod nicht das absolute Ende bedeutet, sondern nur jener Augenblick, in dem sich die Lebensenergie, sprich die Seele aus dem Körper löst. Energie, das hatte sie auch einmal gelesen, kann nach Meinung von Wissenschaftlern nicht verloren gehen, sondern wird nur umgewandelt. Während Gerda Riedmüller über diese Theorien sinnierte, klopfte es zaghaft an der Tür. »Ja«, rief sie und wurde schlagartig wieder in die Gegenwart versetzt, als eine junge Pflegerin deprimiert den Raum betrat. Sie ahnte sofort, was geschehen war und fragte nur ruhig: »Ist es Frau Neugebauer?«
    Die junge Pflegerin nickte. »Setzen Sie sich«, sagte die Chefin, »ich mach’ das schon.«

    August Häberle schaute auf die Armbanduhr. Es war kurz nach halb sechs. Ein verdammt langer Tag, dachte er.

Weitere Kostenlose Bücher