Himmelsfelsen
»wieso haben wir da keinen Bebauungsplan?« Der Mann, knapp
über vierzig, war Rechtsanwalt und kannte sich in den einschlägigen Gesetzen aus.
»Das ist historisch gewachsen«, versuchte Schönmann
darzulegen, »das war schon immer so. Mit unserer Sanierung wollten wir doch erst
klare Verhältnisse schaffen.«
»Wir haben also kein offizielles Sanierungsgebiet
ausgewiesen«, stellte Bund mit der Klarheit eines Juristen fest und gab sich damit
selbst die Antwort.
»Sie treffen den Nagel auf den Kopf, Herr Bund.
Sie wissen, wir hatten keine Chance, in ein offizielles Sanierungsprogramm aufgenommen
zu werden. Deshalb haben wir ja versucht, dies mit den Gebäude-Eigentümern auf freiwilliger
Basis zu machen.«
»Ein Fehler, ein riesiger Fehler«, stellte
Hansjörg Völs von den Linken vorwurfsvoll fest. Der Mann sprach langsam, schien
jedes Wort zu betonen. Er war Lehrer und es offenbar gewohnt, deutlich und verständlich
zu reden und vieles zu wiederholen. Dass er den Oberbürgermeister nicht mochte,
war in der Stadt ein offenes Geheimnis. Aber das waren weniger persönliche, als
viel mehr parteipolitische Gegensätze, die sich dahinter verbargen.
»Wir sollten uns jetzt nicht in gegenseitige
Schuldvorwürfe flüchten«, versuchte der Oberbürgermeister wieder den Faden aufzugreifen,
»sondern nach Lösungen suchen.«
»Die wird es nicht geben«, meinte der Konservative
Träuble, »wir werden aus dieser Situation kaum rauskommen.«
»Wissen wir denn, wer sich hinter ›Sunrise‹
verbirgt?«, fragte Völs von den Linken.
»Geschäftsführer ist ein gewisser Hariolf Messerschmitt
aus München, steht hier auf dem Briefkopf drauf«, sagte Schönmann und hob das Schreiben
hoch.
»Wenn ich diesen Phantasienamen schon höre«,
stöhnte der Umweltschützer, »nur Schwachsinn, nur Anleger-Modelle, nur Finanzhaie,
die sich eine goldene Nase verdienen, Anleger aufs Kreuz legen, unsere Innenstadt
verhunzen und winzige Appartement-Wohnungen hinterlassen, die nachher kein Mensch
will. Und was wird draus? Ein sozialer Brennpunkt.«
»Genau so ist es«, bekräftigte Völs mit immer
noch ruhiger Stimme, während er sich über seinen Vollbart strich. »Schauen Sie sich
doch mal in der Stadt um. Unter dem Deckmäntelchen, Wohnungen für Studenten der
neuen Fachhochschul-Außenstelle zu bauen, sind die hässlichsten Betonklötze entstanden.
Und jetzt? Keiner will sie. Die Investoren, denen sagenhafte Renditen versprochen
worden sind, sind reihenweise pleite gegangen.«
Schönmann erwiderte: »Ich will Ihnen nicht
widersprechen, Herr Völs, aber das hilft uns im vorliegenden Fall nicht weiter.«
»Und die Hausverkäufe sind schon perfekt?«,
wollte der Umweltschützer wissen.
»Es sieht ganz danach aus, sonst wäre die Gesellschaft
doch nicht mit der Ankündigung an uns herangetreten, die Gebäude abbrechen zu wollen.«
»Waren das alles unterschiedliche Eigentümer?«,
wollte Bund wissen.
»Ja, zwei Ausländer, ein Türke, ein Italiener
und zwei Deutsche, ehemalige Geislinger, die jetzt in Konstanz und irgendwo in der
Lüneburger Heide wohnen. Alle sind wohl froh, ihre alten Schuppen los zu sein.«
»Und wie sieht’s drum herum aus? Ist zu befürchten,
dass da noch mehr Eigentümer umkippen?«
»Das haben wir auch schon geprüft«, sagte Schönmann,
»auszuschließen ist gar nichts. Denn die beiden großen Häuser, die sich nordöstlich
anschließen, also dort, wo die Läden auch seit Langem leer stehen, gehören offensichtlich
einer alten Dame, die im Pflegeheim ist. 96 Jahre alt soll sie sein, hat mir das
Einwohnermeldeamt gesagt, heißt … der Oberbürgermeister stockte und blätterte in
seinen Notizen, »… heißt Amalie Neugebauer.«
Die Fraktionsvorsitzenden schauten sich ratlos
an und schwiegen.
»Kennt jemand diese Dame?«, wollte Schönmann
wissen.
»Ist mir im Moment nicht geläufig«, stellte
Träuble fest, der für gewöhnlich alle familiären Zusammenhänge innerhalb der Stadt
kannte, »aber irgendwie ist mir der Name schon mal untergekommen.«
»Ich kenn’ die Frau nicht«, sagte Bund, »aber
es müsste doch ohne weiteres möglich sein, im Standesamt ihre verwandtschaftlichen
Beziehungen festzustellen, ich meine, wer da erben wird.«
»Das dürfte nicht schwer sein«, meinte der
Oberbürgermeister, »ich werd’ das mal heraussuchen lassen.« Er machte sich entsprechende
Notizen, fügte jedoch hinzu: »Aber selbst, wenn wir wissen, wer der mögliche Erbe
ist, haben wir keinen Einfluss, ihn am
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