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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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kahlen Kopf beugte sich zu mir herab. »Ganz ruhig, ist alles wieder gut. Kannst du aufstehen?«
    Ich nickte mechanisch, obwohl wirklich nichts gut war.
    Blut rann über die Glatze des Mannes, tropfte erst neben mir zu Boden und dann auf meine Hand. Ich wollte wegschauen, aber mein Blick klebte daran fest. Das Blut sah aus wie das flüssige Wachs von zinnoberroten Weihnachtskerzen und fühlte sich auf meiner Haut genauso heiß an. Der Mann fasste mich an der Schulter und rüttelte behutsam an mir. Er sagte etwas, aber ich verstand ihn nicht. Zu allem Überfluss roch er auch noch nach Knoblauch, aber auf die angenehme Art, die einen hungrig macht.
    Er sollte aufhören. Aufhören zu reden und aufhören zu bluten.
    Alles drehte sich, bis mir schlecht wurde. Nur peripher registrierte ich das Chaos. Der vordere Bereich des Abteils sah aus, als hätte ihn eine riesige Hand zwischen ihren Fingern zerquetscht. Das Kreischen ebbte ab zu einem jämmerlichen Weinen, die Panik legte sich langsam und wurde zu trägerer Fassungslosigkeit. Irgendwer bekam die Tür auf. Weitere Menschen begannen, den Verletzten zu helfen. Manch einer floh in den U-Bahn-Schacht, andere blieben reglos sitzen, zitternd. Noch hatte ich die Hoffnung, gleich aus einem Traum aufzuwachen. Es musste sich um einen Traum handeln, denn ich spürte keine Schmerzen. Da war so viel Blut auf dem Boden, auf mir, überall. Erst als ich sah, dass die zähen roten Rinnsale immer nach links flossen, bemerkte ich die Schieflage des Waggons.
    Der ältere Herr mit der blutenden Glatze wandte sich dem Mann zu, der neben mir auf der Seite lag. Ich ahnte, dass er derjenige war, der auf mich gefallen war. Ein junger Mann, so viel verrieten seine Kleidung und die Hände. Schöne Hände, helle, saubere Haut, aber sie rührten sich nicht. Blondes Haar verdeckte fast sein ganzes Gesicht, sodass ich nicht sehen konnte, ob er bei Bewusstsein war. Lebte er überhaupt noch? Der alte Mann drehte ihn behutsam auf den Bauch und stieß entsetzt die Luft aus. Im nächsten Moment kam mir der Mageninhalt hoch und ich drehte mich hastig weg. Ich spuckte, taumelte, drohte in mein Erbrochenes zu fallen und kämpfte gegen eine Ohnmacht sowie gegen das Bild an, das sich in Sekundenschnelle unauslöschlich in mein Hirn tätowiert hatte.
    Dem jungen Mann steckte ein trapezförmiges Stück Kunststoff wie ein Messer im Rücken.
    * * *
    Im Rettungswagen war ich noch der festen Überzeugung gewesen, ich würde sterben. Tatsächlich hatte ich nur einen Schock und eine schwere Gehirnerschütterung, weshalb ich drei Tage im Krankenhaus bleiben musste. Ein paar schmerzhafte Prellungen waren außerdem zu verzeichnen und mein linkes Handgelenk war verstaucht.
    Â»Fantastisch«, maulte ich am Abend des zweiten Tages ins Telefon und kämpfte gegen ein paar Tränen an. Am anderen Ende der Leitung war meine beste Freundin Rosalia, die die Sommerferien bei ihren Großeltern in der Nähe von Rom verbrachte. Ich sprach leise, denn meine Bettnachbarin, eine uralte Dame, die an der Hüfte operiert worden war, schlief bereits. Außerdem reagierte mein Kopf noch äußerst gereizt auf laute Geräusche. »Ich habe doch gerade erst eine tolle Band ausfindig gemacht, die mit mir zusammen auftreten will. Jetzt war alles Training umsonst. Mit der Hand kann ich sicher zwei Wochen nicht Poi spielen. Drei Shows werden ausfallen. Und ob mich Lukas und die anderen danach noch dabeihaben wollen …«
    Das Poi-Spiel, bei dem man Gewichte, Bälle oder brennende Fackeln an Ketten in tänzerischen Bewegungen um den Körper schwingt, war meine Leidenschaft. Nach über einem Jahr täglichen Trainings war ich endlich so weit, die Übungs- gegen die Feuerpoi zu ersetzen. Seit Wochen träumte ich von den bevorstehenden Auftritten, von meiner Feuershow als Special-Gig auf den Rockkonzerten der Death Ponys.
    Â»Noa, Schätzchen? Du spinnst!« Das war Rosalia, wie sie leibt und lebt. Sie hat immer die passenden Worte auf Lager, um mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn ich abzuheben drohe. Das mochte ich so an meiner heißblütigen, italienischen Freundin. »Du solltest Gott danken, auf Knien danken, Noa, und zwar auf nackten Knien und auf Kiesboden, dass du noch lebst und okay bist. Einige in der U-Bahn hatten nicht so viel Glück und sind schwer verletzt. Und es gibt einen Toten! Weine um

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