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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Liebhaberin – aber für nichts und niemanden auf der Erde kann ich beides zugleich sein. Niemand außer Marlon hat je in meinem Herzen gebrannt, sodass ich an nichts anderes mehr denken konnte – und halbe Sachen machen mich nicht glücklich. Manchmal lasse ich den Gedanken zu, dass wahr sein könnte, was Marlon befürchtet hat. Dass mich die Sehnsucht nach ihm nie mehr loslässt und ein Zauber mich in seinen Klauen hält. In manch einer sturmgepeitschten Nacht, wenn der Wind scharfpoliert ist vom Salz in der Luft, wünsche ich mir, er wäre ein Meereswesen, wie Brijan vom Trassdeich. Ins Meer könnte ich ihm folgen. Es würde nur mein Leben kosten. Ganz billig.
    Der Himmel aber ist ferner als das Meer. Unerreichbar.
    Ich verbiete mir die Grübeleien. Ich bin kein Opfer. Nie gewesen. Wenn ich mich nach ihm sehne, dann aus Liebe und nicht aufgrund eines Hokuspokus. Es gibt diesen Zauber, da bin ich mir sicher, denn er glaubte daran. Aber ich bin stärker, und wenn ich ihn nicht loslasse, dann, weil ich nicht will, und nicht, weil ich nicht freikomme. Der Schmerz ist süß, weil es der Schmerz um Marlon ist. Das Einzige, was nicht verblasst, sondern seine Spuren tiefer und tiefer in meine Seele zeichnet.
    Eine Böe reißt an meinem Haar, eine Welle schwappt mir bis ans Knie und tränkt den Saum meines Rockes. Irgendwo regt sich ein Schatten, aber ich bin es müde, mich nach Trugbildern umzusehen, die immer lautlos kichernd verschwinden. Ich betrachte den Schaum, den das Wasser am Strand zurücklässt. Kleine Muscheln werden angespült und wieder mit in die Ferne genommen. Ein Krebs flieht vor meinen Füßen und ich bemerke, dass viele von ihnen unterwegs sind in dieser Nacht, dafür erstaunlich wenig Möwen. Gar keine, um genau zu sein. Ich weiß, was die Möwen höchst effektiv vertreibt.
    Harpyien.
    Ich bleibe stehen, konzentriere mich auf den Wind auf meiner Haut und forsche, ob darunter noch etwas anderes zu finden ist. Ein Gefühl von … Blicken in meinem Rücken, vielleicht?
    Lange stehe ich da. Bin unsicher. Als ich mich schließlich umdrehe, vermischen sich Traum und Realität. Habe ich ihn nicht schon viele Tausend Mal im Wellenspiel knien sehen? Doch nie zerzauste der Wind sein Haar. Nie war es so lang wie jetzt, seine Haut von einem bläulichen Schimmer und nie grub er die Finger in den Sand, als hätte er Angst, der Sturm würde ihn fortreißen. Nie zuvor war er splitterfasernackt.
    Â»Träume ich?« Ich will nicht umsonst näher gehen, will mich meiner Hoffnung nicht umsonst hingeben. In meinen Träumen sagt er an dieser Stelle immer den Namen, den er mir gegeben hat. Magpie. Er sagt Magpie – ich wache auf und weine. So ist es immer, denn Träume zählen nicht zu den Dingen, die man festhalten kann. Träume sind wie Marlon.
    Er sagt nichts. In dem Hauch von Mondlicht, das sich durch die Wolken stiehlt, sehe ich, wie er den Mund öffnet, ihn wieder schließt. Er japst wie ein Fisch auf dem Trockenen und es dauert endlos viele Herzschläge, bis ich begreife, dass er lacht.
    Ich wage einen Schritt in seine Richtung, auch einen zweiten, aber ein dritter wäre zu viel. Gleich, gleich wird er Magpie sagen und sich auflösen.
    Er legt eine Hand auf seine Brust, doch findet nicht, was er sucht.
    Wie sehr er sich verändert hat. Die Schultern sind breiter, die Brust kräftiger. Sein Haar ist stumpf und verfilzt und reicht ihm bis auf den Rücken. Ich suche nach dem Hauch von Blau und Petrol darin, nach den Rabenfarben, aber ich erkenne nur Salzkrusten, als wäre er viele Male ins Wasser gefallen und von der Sonne getrocknet worden.
    Ungewollt trete ich noch näher. Nun kann ich ihn fast berühren. Seine Augen sind so dunkel wie eh und je und ich tauche in das lang vermisste Gefühl ein, von Schwärze gewärmt zu werden. Ich falle auf die Knie und presse mir beide Hände auf den Mund, als mir eine Muschel schmerzhaft in die Haut schneidet.
    Ich höre seinen Atem, höre ihn nach Worten suchen. Ich tippe mit den Fingern auf meinen Oberschenkel. »Erinnerst du dich? Du brauchst einen Takt.«
    Er begreift sofort.
    Gleich wird er es sagen, er wird Magpie sagen und im Wind vergehen. Wenn ich mir doch vorher sein Gesicht einprägen oder ihn ein einziges Mal berühren könnte! Ich strecke die Hand aus, bis meine bebenden Finger beinahe seine Wange erreichen. Zu mehr fehlt mir

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