Himmelsfern
der Mut. Ich mag stark sein, aber feige.
»Wâ¦wie laâ¦lange ⦠wâ¦war ich fort?«
Meine Träume werden immer grausamer. Gestottert hat Marlon darin noch nie. Etwas zerreiÃt in meinem Innern, alte Wunden beginnen erneut zu bluten. Doch ich will, ich muss ihn nun berühren. Nur ein einziges Mal, bevor er wieder verschwindet.
»Du warst nie fort. Du bist woanders.«
»Du weinst.«
Nein, ich breche in hysterische Tränen aus, als sein Finger den Weg meiner Tränen nachzieht.
Wo immer woanders auch sein mag, es kann nicht weit fort sein. Wenn der Traum so wirklich ist, dass ich ihn fühle, dann ist er nah. Seine Finger sind kalt auf meiner heiÃgeweinten Haut. Traum oder nicht, etwas hat sich verändert.
Er ist mir fremd.
Ist er noch der, in den ich mich einst verliebt habe? Bin ich noch die, die er geliebt hat, für die er zurückgekommen ist? Was für absurde Fragen. Ich habe nicht die geringste Ahnung und würde dennoch jederzeit die verstümmelten Reste meines Herzens opfern, um es ausprobieren zu dürfen.
Ja, er ist mir fremd. Aber das war schon einmal so und aufgehalten hat es uns nicht.
Salzige Wellen lecken an meinen aufgeschürften Knien. Es brennt, aber ich denke an etwas vollkommen anderes. »Bist du tatsächlich zurückgekommen? Du â¦Â«, ich wage es, ich lege meine Hand an seine Wange, spüre, wie sich sein Kiefer darunter bewegt, »du hast dich wirklich erinnert?«
Er nickt, aber glauben kann ich ihm dennoch nicht. Glauben reicht nicht länger. Ich will es jetzt wissen und sage ihm das allein mit meinen Augen.
Mit beiden Händen fährt er mir durchs Haar. Ungeschickt. Er zittert, seine Finger verheddern sich in meinen windzerzausten Strähnen. Nie haben sich ein paar ausgerissene Haare süÃer angefühlt.
»Magpie«, flüstert er an meinen Lippen. Seine Stimme ist rau. In ihr höre ich all die Jahre, in denen er nicht gesprochen hat.
Er verschwindet nicht, wie er es sonst tut. Nein, er schüttelt den Kopf, presst seine Lippen eine Sekunde lang unbeholfen auf meine. Ich schmecke Salz.
Und Marlon sagt: »Noa.« Laut und deutlich.
Und ich realisiere, dass er nicht verschwinden wird.
Vielleicht nie mehr.
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Jennifer Benkau lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und zwei Katzen inmitten lauter Musik und vieler Bücher im Rheinland. Nachdem sie in ihrer Kindheit Geschichten in eine Schreibmaschine gehämmert hatte, verfiel sie pünktlich zum Erwachsenwerden in einen literarischen Dornröschenschlaf, aus dem sie zehn Jahre später, an einem verregneten Dezembermorgen, von ihrer ersten Romanidee stürmisch wachgeküsst wurde. Von dem Moment an gab es kein Halten mehr.
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© 2013 script5
script5 ist ein Imprint der Loewe Verlag GmbH, Bindlach
Dieses Werk wurde vermittelt durch
die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Cover- und Kapitelillustration: Martina Hoffmann
Covergestaltung: Christian Keller
eBook-Konvertierung: CPI â Clausen & Bosse, Leck
E-Pub 2.0 ISBN 978-3-7320-0031-9
Printausgabe ISBN 978-3-8390-0143-1
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt. Jede vom Urheberrechtsgesetz nicht erlaubte Verwendung ist ohne schriftliche Zustimmung unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Verbreitung, Bearbeitung, Ãbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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