Himmelsgöttin
Zielgenauigkeit im Umgang mit dem Kugel-Blasrohr in Zeiten erworben, als er eigentlich Algebra hätte lernen sollen. Und im Gegensatz zu den Ausführungen seines Lehrers hatte er in seinem späteren Leben nie wieder irgendwelche Kenntnisse in Algebra gebraucht, wohingegen die Beherrschung des Kugel-Blasrohrs ihm nun überaus zupaß kam, obwohl diese Fähigkeiten in keinem Zeugnis vermerkt waren, im Gegensatz zu seinem angeblichen Scheitern in Algebra.
Die dritte Kugel traf den Wachmann an der Schläfe und blieb dort kleben. Er drehte sich um und stieß wütende Flüche auf japanisch aus. Tuck hatte bereits einen Nachfolger vorgekaut und schoß dem Wachmann die Kugel gegen den Hals. Die Wache fuchtelte mit der Uzi herum.
»Mach schon, Fickschwanz. Knall mich ab«, sagte Tuck, und seine Augen funkelten. »Und dann erklär schön dem Doc, daß du den Piloten wegen 'ner Spuckekugel erschossen hast.« Er biß ein weiteres Stück Papier ab und kaute darauf herum, während der Wachmann ihn wütend anstarrte.
Die rostigen Sturmklappen über den Fenstern wurden nur mit einer einzigen Holzstrebe offengehalten. Der Wachmann schlug die Strebe weg, und mit einem Scheppern fiel die Klappe herunter.
Tucker ging zum nächsten Fenster. Er lehnte sich hinaus und feuerte. Es gab ein Klatschen auf der Stirn des zweiten Wachmanns, gefolgt von einer weiteren Strebe, die weggerissen wurde, und einer weiteren scheppernden Sturmklappe.
Nur noch ein Fenster. Das jedoch einen Schuß über acht Meter erforderte. Tucker streckte den Kopf nach draußen und pustete. Ein Spinnennetz aus Spuckefäden folgte dem Geschoß auf seinem Flug über den Lanai. Es traf den ersten Wachmann vorn an seinem Hemd, und er kam, die Uzi im Anschlag, auf Tuck zugerannt. Dieser duckte sich schnell, und dann fiel auch schon die letzte Klappe.
Tuck hörte, wie die Wachen jede einzelne Klappe verriegelten.
Auftrag ausgeführt.
In Gegenwart der Wachen, die alle zwei Minuten zum Fenster hereinschauten, hätte er es nie geschafft, mit seinem Kokosnuß-Double die Rollen zu tauschen. Außerdem wäre selbst das Mondlicht noch zu hell gewesen, um unbemerkt ins Badezimmer zu kommen. Die Fenster zu schließen kam nicht in Frage. Dadurch hätte er sich nur verdächtig gemacht.
»Gute Nacht, Jungs. Ich leg mich hin.« Das Pusterohr im Anschlag, stand er da und wartete, doch die Sturmklappen blieben geschlossen. Rasch schaltete er das Licht aus und kroch ins Bett, wo er den Kokosnuß-Mann zusammenbaute. Dann wartete er, bis er die Wachen miteinander reden hörte und den Rauch ihrer Zigaretten roch, um sich sogleich auf Zehenspitzen ins Bad zu schleichen und seine Flucht in Angriff zu nehmen.
Er hatte beinahe erwartet, daß die Duschwanne nun festgenagelt war. Schließlich hatte Beth Curtis diesen Ausgang am Morgen benutzt. Aber vielleicht war sie nicht auf die Idee gekommen, daß er den Trick kannte. Nein, sie hatte nicht alle Tassen im Schrank, aber dämlich war sie nicht. Sie wußte, daß er es wußte. Sie wußte sogar, daß er wußte, daß sie es wußte. Und warum hatte sie Sebastian nichts davon erzählt? Und von dem kleinen Umweg über Guam hatte sie ihm auch nichts erzählt – oder vielleicht doch? Sebastian hatte diesmal jedenfalls noch keinen dicken Scheck herübergereicht, wie nach den letzten Flügen. Tuck notierte sich im Geiste, den Doc nach dem Scheck zu fragen, sobald sie das nächste Mal auf dem Golfplatz waren.
Nun schnappte er sich erst mal seine Flossen und die Maske und machte sich auf den Weg zum Strand. Bevor er ins Wasser stieg, zog er ein Röhrchen mit Pillen aus seiner Tasche – Antibiotika, die er noch übrig hatte aus der Zeit seiner Schwanzfäulnis – und versicherte sich, daß der Deckel fest zugeschraubt war. Dies war vielleicht die einzige Möglichkeit, Kimi mit Medikamenten zu versorgen.
Er schwamm um das Minenfeld herum, durchquerte ohne Zwischenstopp das Dorf und schlug den Pfad zu Sarapuls Haus ein. Vor den Häusern saßen noch immer Frauen und Kinder herum: die Frauen im Schein von Kerosinlaternen bei der Arbeit an kleinen Webstühlen und die Kinder, die schweigend spielten oder die letzten Reste ihres Abendessens von Bananenblättern aßen. Nur die kleinsten Kinder schauten Tucker im Vorbeigehen an. Die Frauen wandten sich ab, fest entschlossen, so schien es, jeglichen Augenkontakt mit dem seltsamen Amerikaner zu vermeiden. Tuck dachte: So muß es in New York ausgesehen haben vor der Ankunft des weißen Mannes. Und mit diesem
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