Himmelskrieg: Roman (German Edition)
Gebilde, das drei Stockwerke hoch war und so viel Platz einnahm wie ein Baseballfeld, befand sich in der Nähe des südlichen Endes. Obwohl sich Rachel auf ihren Erkundungsgängen nur wenige Hundert Meter von dem Tempel entfernt hatte, hatte sie bereits entschieden, das Bauwerk müsse auf erhöhtem Boden stehen, und alles, was sich in nördlicher Richtung erstreckte, lag demnach »tiefer«.
Rings um sie her rührten sich Menschen. Es erinnerte Rachel an das morgendliche Wecken in dem einzigen Pfadfin derinnenlager, an dem sie je teilgenommen hatte. Zu der Zeit war sie zwölf gewesen. Keiner hatte einen glücklichen oder frischen Eindruck gemacht, und dieser Morgen hier jetzt auf Keanu war nicht anders.
Rachel hatte eine geradezu makabre emotionale Achterbahnfahrt hinter sich. Vor zwei Jahren hatte sie zugesehen, wie ihre Mutter bei einem Autounfall in Florida getötet wurde, dann hatte sie sie über NASA - TV lebendig auf Keanu gesehen, nur um bei ihrer Ankunft auf dem NEO zu erfahren, dass sie ein zweites Mal gestorben war.
»Wie kam sie ums Leben?« Zack hatte es ihr bereits erzählt, aber gleich in der ersten Stunde nach ihrem Wiedersehen, als viel zu viel Verwirrendes auf sie eingestürmt war.
»Ein Wächter hat sie umgebracht.«
»Ein Wächter?« Rachel hatte nicht annähernd so viel Zeit mit ihrem Vater verbracht, wie sie gern gewollt hätte. Aber in Anbetracht ihrer Situation und ihrer psychischen Verfassung hätte sie einen ständigen Kontakt mit ihm gebraucht. Am liebsten hätte sie sich an ihren Vater geklammert und ihn nie wieder losgelassen.
»Einer der anderen Bewohner Keanus«, antwortete er, offenbar zu müde für eine ausführliche Erklärung.
»Also ein Alien.« Zack nickte. »Treibt er sich immer noch hier herum?« Wenn dieser Wächter ihre Mutter getötet hatte, dann sollte man ihm vielleicht besser aus dem Weg gehen.
»Ich glaube nicht. Ich habe ihn nämlich erstochen«, erwiderte Zack. »Camilla hat mir geholfen.« Rachel bemerkte, dass das kleine Mädchen immer noch in einer Entfernung von wenigen Metern herumlungerte. Als Camilla ihren Namen hörte, lächelte sie und rückte zu Rachels großem Verdruss näher an sie heran.
»War das der Einzige von dieser Sorte?«, wollte Rachel wissen.
Zack zuckte die Achseln. »Kann ich nicht sagen. Zwischen diesem Habitat und der Fabrik gab es einen Durchgang. Aber anscheinend hat er sich wieder geschlossen.«
Rachel hatte keinen blassen Schimmer, was ihr Vater damit meinte. Sie bekam keine Gelegenheit, ihn zu fragen, weil sich nun Harley Drake und Sasha Blaine näherten. Harley kam in seinem Rollstuhl, den er mit den Händen über den unebenen Boden bugsieren musste, nur langsam voran.
Rachel verspürte eine Anwandlung von Mitleid mit diesem Mann. Gott, man vergaß so leicht, wie er vor dem Unfall gewesen war. Ein tollkühner Pilot, eine Sportskanone, ein Frauenheld. Jedenfalls hatte Megan, ihre Mutter, ihn einmal so beschrieben. Und wenn man ihn jetzt so sah …
Dann war da noch Sasha Blaine, vom Typ her eine Walküre, Astronomin und mathematisches Genie, immer gut drauf. Doch sogar sie war jetzt blass und wirkte erschöpft.
Rachel vergegenwärtigte sich, dass ihr Vater den beiden von Megans Leiche erzählt hatte – bevor er seine Tochter informierte! Das gefiel ihr überhaupt nicht.
Die Begrüßung fiel kühl aus, desgleichen die Umarmungen. Sasha wünschte dem brasilianischen Mädchen auf Deutsch einen Guten Morgen – eine der beiden Sprachen, die das Mäd chen beherrschte – und erntete ein Lächeln für ihre Bemühungen. Dann brachte Sasha eine kleine Schaufel zum Vorschein. »Die hab ich einem der anderen Teams abgeluchst«, erklärte sie.
»Sie muss genügen«, meinte Zack. »Lasst uns gleich anfangen, umso schneller haben wir es hinter uns.«
Zack hatte Rachel abgeraten, sich den Leichnam ihrer Mutter anzusehen, aber er brauchte ihre Hilfe, um das Bündel zu tragen. Als Sasha sah, wie er sich abmühte, die in Blätter eingewickelte Leiche hochzuheben – die an die vierzig Kilogramm wiegen musste, da die Schwerkraft in dem Habitat beinahe der Gravitation auf der Erde glich –, bot sie ihm sofort Unterstützung an. Aber Rachel kam ihr zuvor. Das hier war ihre Mutter – jedenfalls schien es Megan zu sein. Und ihr armer Vater.
Es war ihre, Rachels, Aufgabe zu helfen.
Langsam stapften sie über das leicht ansteigende Gelände nach Süden und gelangten in einen düsteren, abgeschiedenen Teil des Habitats, in dem Rachel noch
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