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Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Titel: Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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ein Foto von Marlon und dir machen; eins für mich.« Marlon verdrehte die Augen und auch Anna hatte nicht die geringste Lust, mit Corbins schweigsamem Bruder zu posieren. Doch letztlich stellten sie sich doch zusammen vor die schäbige, abgeschlagene Hauswand und Marlon überwand sich sogar dazu, seinen Arm um Annas Schultern zu legen. Corbin stellte sich als der geschicktere Fotograf heraus: In ungeduldig werdendem Ton forderte er ein Lächeln, ließ die Kamera schließlich sinken und drückte den Auslöser genau in dem Moment, als Marlon breit und offenherzig über den vermeintlichen Sieg grinste.
    Es war exakt dieser Augenblick, den Anna gerne konserviert hätte: Corbin zufrieden, Marlon scherzend und sie alle drei sorgenfrei und leichten Herzens.
    Sie ahnte bereits, dass der Wunsch naiv war.

III
    Es waren ein paar Tage vergangen, seit sie die Fotos gemacht hatten. Eines der Bilder verwahrte Anna in ihrem Portemonnaie, und das von Marlon und ihr hatte Corbin sich über seinem Bett mit einer Reißzwecke an die Wand geheftet. Der Sommer kam nun mit jedem Tag dichter an sie heran, es wurde wärmer und wärmer, und mit der Hitze legte sich auch eine drückende Vorahnung von Abschied um Annas Brust und erschwerte ihr das Atmen.
    Das Buch war keine Hilfe gewesen. Nicht die geringste. Corbin bezeichnete es als eine Sammlung von Geschichten, wenigen wahren Begebenheiten und vielen Legenden und Fantastereien. Gut möglich, dass es von Personen geschrieben war, die dieselben übernatürlichen Fähigkeiten hatten wie Corbin und Marlon. Einiges war sehr detailliert und nach Aussagen der Jungs so treffend beschrieben, dass es keinesfalls Fantasie sein konnte. Aber wer auch immer die Episoden und Informationen zusammengetragen hatte – sie hatten nicht mehr Wissen als Corbin, und das war erschreckend wenig. Niemand kannte einen Weg, wie Corbin und Anna zusammenbleiben konnten. Das Durcharbeiten des kleinen Buchs hatte zu nichts weiter geführt als zu unruhigem Frust bei Corbin und stillem Zorn bei Marlon. Es hatte die Brüder nur Zeit gekostet; Zeit, die Anna lieber mit ihrem Liebsten verbracht hätte.
    »Mama?«, rief sie und steckte den Kopf ins Wohnzimmer. Ihre Mutter saß auf dem Sofa, lauschte klassischer Musik und strickte, wie sie es seit Jahren den Sommer hindurch tat: Winterpullover, Mützen und Socken für ein weißrussisches Kinderheim. Sie hielt jeden Tag für verschwendet, an dem sie nicht wenigstens ein paar Minuten lang für das Wohl armer Menschen arbeitete. »Mama, ich gehe zu … zum Ballett, okay?«
    Ihre Mutter hob den Kopf und sah über den Rand ihrer Brille. »Läuft das Training gut? Du übst viel in letzter Zeit, hm?«
    Annas schlechtes Gewissen juckte sie wie nässender Hautausschlag. »Geht so.« Wenn sie ihren Eltern doch nur die Wahrheit erzählen könnte. Sie sehnte sich danach, ihre Mutter um Rat und ihren Vater um ein wenig Trost zu bitten. Aber sie kannte die beiden zu gut. Alles, was sie heraufbeschwören würde, wären Unverständnis, Sorge und blanke Nerven auf allen Seiten.
    »Bist du zum Abendbrot wieder zu Hause, Anna? Papa kocht, er ist extra zum Markt gegangen, um frisches Gemüse zu besorgen.«
    Eigentlich hatte sie länger bei Corbin bleiben wollen. Doch die Sehnsucht nach der heilen Welt ihrer Kindertage wurde mit einem Mal übermächtig. »Ganz sicher.«
    »Ach, fast hätte ich es vergessen«, sagte ihre Mutter und begann wieder zu stricken. »Da hat jemand für dich angerufen, als du in der Schule warst. Ein junger Mann, ein Klassenkamerad vielleicht. Er nannte keinen Namen. Ich war angesichts der Umgangsformen … ein wenig erstaunt.«
    Anna musste müde lächeln. Konsequent wählte ihre Mutter diese Formulierung, dabei war sie sicher schon längst nicht mehr erstaunt von irgendetwas. Ob Corbin angerufen hatte? Aber warum sollte er das tun? Er meldete sich immer über ihr Handy, und das hatte sie eben noch kontrolliert: keine Anrufe in Abwesenheit und auch keine SMS.
    »Was wollte er denn?«
    »Nur wissen, ob du da bist und wann du heimkommst. Ich habe ihm gesagt, dass du zwischen halb drei und vier zu erreichen bist. Wieder angerufen hat er aber bisher nicht, oder?«
    »Nein«, antwortete Anna leise. Der Anruf gefiel ihr nicht. Wer mochte das gewesen sein? Sie wurde selten angerufen und zu den meisten Jungs in ihrer Schule hatte sie nur wenig Kontakt. Sie sah auf die Uhr – fünf vor vier – und schauderte unweigerlich. Wer immer da angerufen hatte, wusste nun, dass sie gleich

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