Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern
seit der Innenstadt hinter mir.«
»Lass dir nichts anmerken. Wenn sie dich ansprechen, dann streite nichts ab. Du hast das Buch gesucht – aber nicht freiwillig, hörst du?« Corbins Stimme wurde höher, sie hörte die Hektik darin, mit der er sich bewegte. Türen schlugen, er rief nach Marlon. »Wir haben dich dazu gezwungen. Erpresst. Hörst du? Anna!«
»Verstanden.« Die Schritte hinter ihr wurden lauter. Sie kamen näher.
Leg nicht auf! , flehte Anna in Gedanken. Lass mich nicht allein! Doch sie wagte es nicht mehr, etwas zu sagen.
»Wir sitzen jetzt im Auto, Anna.« Im Hintergrund hörte sie den Motor aufjaulen. Mit dem Wagen waren es drei, vielleicht vier Minuten bis zu ihr, eher weniger, wenn Corbin am Steuer saß. Trotzdem wagte Anna nicht aufzuatmen.
Beeilt euch, beeilt euch!
»Geh einfach weiter, lass dir nichts anmerken. Rede irgendeinen Blödsinn, als hättest du sie gar nicht bemerkt. Als würdest du mit deiner Freundin telefonieren. Anna! Mach schon!«
»Okay«, presste sie hervor. Sie musste sich räuspern, so belegt waren ihre Stimmbänder. »Meine Mutter hat mir echt abgekauft, dass ich zum Ballett gehe.« Sie lachte, leise und heiser, und hoffte, die Männer würden nicht erkennen, wie hysterisch dieses Lachen klang. »Die Frau ist echt naiv.«
»Oh, Anna.« Sie hörte, wie Corbin schluckte. »Das hört auf. Ich verspreche es. Sprich weiter.«
»Hat keine Ahnung, dass wir uns einen netten Mädelsabend machen. Ich hab uns Tequila besorgt.« Beeil dich, Corbin.
Doch es war zu spät, die Männer hatten sie eingeholt und einer fasste sie an der Schulter. Sie versuchte zurückzuweichen, doch hinter ihr war nur die vollgesprayte Wand einer Lagerhalle, gegen die sie sich nun drückte. Die Männer, ein blonder, der kaum älter schien als sie, und ein älterer mit hoher Stirn und scharfen Geheimratsecken, forschten in ihrem Gesicht, und wenn Anna sich auch vorgenommen hatte, keine Angst zu zeigen, musste sie sich nun eingestehen, dass dieser Plan zum Scheitern verurteilt war.
»Keine Bewegung!«, formte der ältere lautlos mit den Lippen. Annas Zähne klapperten. Sie presste sich eng an die Wand. Ohne ein Wort zu sagen, nahm ihr der blonde das Telefon aus der Hand und hielt es an sein Ohr. Durch das Gerät hörte Anna, wie Corbin ihren Namen rief. Der Mann warf seinem Begleiter einen Blick zu und nickte. Erst jetzt sah Anna die Pistole, die der ältere aus einem Holster nahm und auf ihren Bauch richtete.
Der blonde hob einen Zeigefinger an die Lippen. Der Hohn in seinen Augen machte Annas Knie weich vor Angst. Gleichzeitig verlieh er ihr einen unglaublichen Zorn. Die benutzten sie! Um Corbin in einen Hinterhalt zu locken. Langsam atmete Anna ein. Ihr war schwindelig, sie fühlte sich, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Die Waffe war keine Attrappe. Aber die Kugeln waren nicht für sie bestimmt. Sie hatte nichts getan, außer ein altes, abgegriffenes Buch mit unwichtigem Inhalt zu stehlen. Zu spät kam ihr die Einsicht, dass dieses Buch nicht mehr war als ein Köder; ein Lockmittel. Sie war darauf reingefallen, dumme, dumme Anna , doch die Waffe und die Munition darin – die waren für Corbin.
»Verschwindet!«, rief sie, ohne eine Idee, woher sie die plötzliche Courage nahm. »Das ist eine Falle!«
Der junge Mann versetzte ihr eine Ohrfeige, dass es in ihrem Gehörgang schrillte. Doch es war zu spät. Corbins Wagen schoss bereits die Straße entlang. Sie hörte die Bremsen quietschen, sah den Wagen wild schlingern und schließlich anhalten. Eine Tür ging auf und irgendwer brüllte etwas, das sie nicht verstand. Corbin?! Der blonde fuhr herum und griff unter seine Jacke. Anna sah schwarzen Kunststoff. Eine weitere Waffe. Und dunkle Schlieren, zu Bildern gewordene Angst um Corbin.
»Lasst sie gehen!«, rief Corbin. Anna hörte nur noch seine Stimme, als hätte jemand der ganzen übrigen Welt den Ton abgestellt. Und dann, als Corbin dazu ansetzte weiterzusprechen, hörte sie den Schuss. Er war so laut, dass Anna meinte, taub zu werden. Sie öffnete den Mund, rief etwas, doch jedes Geräusch schien sich aufzulösen wie ein Atemwölkchen in kalter Luft. Hinter der Autotür war Corbin in eine zerbrechliche Deckung gegangen. Der jüngere Mann sah die Schwachstelle, Corbins Unterleib, der unter der Tür zu sehen war. Er legte auf ihn an.
Anna handelte intuitiv.
Griff in die Tasche. Zog das Pfefferspray hervor.
»Waffe!«, brüllte der ältere Mann und der andere drehte sich zu ihr
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