Himmelsschatten
Jones nickte dem Team der Mission Control zu. »Ihr müsst natürlich auch von hier weg.«
»Wir bleiben«, sagte Josh Kennedy. »Wir müssen ein Raumschiff landen.«
Jones blieb hartnäckig. »Hier könntet ihr alle sterben!«
Aber Weldon entgegnete: »Wenn wir das Schiff nicht auf Keanu runterbringen, stirbt unsere Crew. Das können wir nicht zulassen.« Er lächelte. »Außerdem, Gabe, so was haben wir doch schon mal mitgemacht. Hurricane Horace, wissen Sie noch? Schutz an Ort und Stelle.«
Harley erinnerte sich sogar sehr gut; vor zehn Jahren, während seines Jahres als ASCAN, hatte Hurricane Horace direkten Kurs auf Houston genommen, mitten in einer der letzten Shuttle-Missionen.
Zur selben Zeit war Mission Control für den Betrieb der Internationalen Raumstation zuständig, obwohl man sich diese Aufgabe mit Russland teilte. Doch der Shuttle konnte nur von Houston aus gelenkt werden.
Und während die Bewohner der Stadt – und neunundneunzig Prozent des Personals vom Johnson Space Center – sich auf die Highways begaben und höher gelegenes Gelände aufsuchten, harrte eine Rumpfmannschaft im Gebäude 30 aus … geschützt an Ort und Stelle.
Horace fegte über Houston hinweg und verursachte im Westen der Stadt schwere Schäden. Der Hurricane traf das JSC nicht direkt, und trotzdem gab es abgerissene Dächer, zerborstene Fensterscheiben und weggefetzte Stromleitungen. Der Shuttle erhielt die ganze Zeit über Unterstützung.
Aber diese neue Herausforderung hätte eine völlig andere Größenordnung. Die Mauern des Gebäudes 30 be standen aus Ziegeln und Mörtel und hielten auch einem heftigen Unwetter stand. Sie boten jedoch kaum Schutz vor einem Aufprall, bei dem kinetische Kräfte freigesetzt und unvorstellbare Mengen an Hitze und Energie entfesselt würden. Dieses Mal war es sehr gut möglich, dass die Controller der Mission, die Schutz an Ort und Stelle suchten, ums Leben kamen.
Doch von Angst war nichts zu merken, im Raum herrschte eine ruhige Atmosphäre.
»Also gut, möge Gott euch schützen«, hatte Jones gesagt, auch wenn er intelligent genug war, um die Nutzlosigkeit dieses Wunsches einzusehen.
Weldon näherte sich ihm. »Harls, geh lieber zu deinem Team zurück.«
»Ja, sicher. Wird höchste Zeit, dass die schlauen Köpfe sich ihre Brötchen verdienen.«
»Ich denke, du solltest ihnen das Angebot machen, von hier zu verschwinden.«
Harley war gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass seine Gruppe aus Akademikern und Quasi-Wissen schaftlern nicht erpicht darauf sein könnte, sich für Schutz an Ort und Stelle zu entscheiden. »Richtig.«
Blaine schob ihn in seinem Rollstuhl zur Tür. Als sie im Korridor waren, sagte Harley: »Angenommen, es handelt sich um einen feindlichen Akt. Sind es dann Kinetische-Energie-Waffen?«
»Werden sie im letzten Augenblick die Richtung ändern und in Washington oder New York einschlagen? Wade Williams wird außer sich sein vor Glück – es wäre wie in seinem Film.«
»Er wird seine Glücksgefühle auf der Straße erleben müssen.«
Blaine blieb stehen und blickte auf ihn hinunter. »Und was ist mit Ihnen, Harley?«
»Wissen Sie, vor meinem Unfall gab es zwei Dinge, die ich besonders gern tat, und eines davon war Fliegen. Seit ich im Rollstuhl sitze, muss ich auf beide Sachen verzichten, und es sieht nicht danach aus, als könnte sich meine Situation in Zukunft verbessern. Deshalb bleibe ich hier.«
»Das finde ich sehr mutig von Ihnen. Aber was ist mit Zacks Tochter?«
O Gott , dachte Harley. Ja, was ist mit Rachel Stewart ?
Das Gespräch hatte fast eine Stunde lang gedauert. Es begann in der Besuchergalerie; es wurde fortgesetzt im Korridor, wo Sasha Blaine sie verließ, um zum Home-Team zurückzukehren; und es endete, als sie wieder im Raum der Mission Control angelangt waren.
Letzten Endes würde Rachel Stewart nirgendwohin gehen. »Hier ist der einzige Ort auf der Welt, an dem ich mit meinem Vater Verbindung aufnehmen kann«, sagte sie.
»Es wird nicht viel Kontakt geben, wenn sich dieser Ort in ein gigantisches qualmendes Loch im Erdboden verwandelt.«
»Wenn die Keanu-iten dazu imstande sind, hat mein Vater auch keine Chance.«
Harley Drake glaubte fest daran, dass jeder Mensch das Recht hatte, Entscheidungen zu treffen, die sich später als verdammt große Fehler entpuppten; und je früher man lernte, was richtig und was falsch war, umso besser. Ein Rest des Verantwortungsgefühls eines Erwachsenen ließ ihn zweifeln, ob diese
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