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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Kostbarkeiten zu verwahren, verkaufte er sie – mit wachsendem Erfolg. Dass er jüngst selbst geflügelte Wesen in den Straßen seiner goldenen Stadt zu sehen glaubte, be unruhigte den Jungen nicht. Viel zu oft hatte er weit un heimlichere Dinge in Lösungsmitteln und später, da es ihm dank seiner Raubzüge besser ging, auch schon mal in Ka nistern mit Wässerchen ertränkt. Bis zu dem Tag, an dem die wahren Herren von Sankt Petersburg auf ihn aufmerksam geworden waren und nur das beherzte Eingreifen des Mädchens ihn vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.
    Er ahnte es nicht, aber es war sein Unglaube, der ihm bald darauf zum zweiten Mal das Leben rettete. Samjiel erinnerte sich daran, wie er das Schwert hatte ziehen wollen, um dieser Existenz ein Ende zu setzen.
    Und dabei war es passiert. Genau in dem Moment, als er dem Besinnungslosen das antike Kunstwerk aus der kleinen Faust zog, meinte er das leise Echo einer Hingabe zu spüren, mit der es vor vielen Hundert Jahren geschaffen worden war. Eine Hingabe, die er auch in dem Jungen wiederfand, bei diesem jedoch der Kunst und nicht der Religion galt und sein Interesse geweckt hatte.
    Die Fingerspitzen des Engels bebten, als er jetzt über das Holztäfelchen strich, das wenig größer war als eine Postkarte. Besorgt verbarg er es und nahm einen Schluck aus der schlichten Flasche. Sofort fraßen sich die Flammen durch seinen Körper, brachten das Gesicht zum Erglühen und brannten sich am Ende noch tiefer in seine Seele hinein. So würde es auch sein, dachte er, wenn der Jüngste Tag für ihn gekommen war. Und lange konnte das nicht mehr dauern. Michael vertraute ihm, keine Frage, aber Ge rüchte tanzten schneller als ein Sonnenstrahl, und das Auftauchen der eigenartigen Wächterin bedeutete nichts Gu tes. Vielleicht aber war es Vorsehung, dass sie, von der man munkelte, sie sympathisiere mit den Gefallenen , ihn hier gefunden hatte. In diesem winzigen Augenblick der Schwäche lehnte er sich vor und wünschte, er besäße keine Flügel.
    »General!« Als sie sich Stunden später auf den schmalen Querbalken fallen ließ, schwankte das Kreuz, und das half ihm, die Kontrolle über das Unerklärliche vorerst zu rückzugewinnen. Diesmal war sie bekleidet. Die bunten Bilder auf ihrer Haut – von der sie immer noch viel zeigte – spiegelten sich in den opalfarbenen Federn, bis sie die Flügel zusammenfaltete und hinter dem Rücken verbarg; scheu, beinahe so, als hätte sie sein Interesse gespürt.
    »Samjiel.« Er wollte nicht, dass sie davonflog. »Ich heiße Samjiel«, sagte er deshalb noch einmal und lächelte. Das konnte er durchaus. Schmunzeln, drohen, Gefühle zeigen. Jeder in seinen Legionen verstand sich darauf, die äußeren Zeichen von Emotion zu imitieren. Nur mit der Wärme, die ihn durchflutete, als sie zurücklächelte, hatte er nicht gerechnet.
    »Und was tust du hier, Samjiel? Ein bisschen abhängen vielleicht und die Weißen Nächte genießen?«
    War das ein Zwinkern? Sprachlos versuchte er ihre Gedanken zu ergründen, traf dabei auf eine Mauer aus Belustigung und zog sich eilig zurück. Um sie nicht ansehen zu müssen, blickte er über die Dächer der Stadt. Wie eine Kette schimmernder Perlen legte sich ihr Lachen um seinen Hals. Sie, davon war er überzeugt, hatte in diesem Bruchteil einer Sekunde mehr über ihn erfahren, als er zu teilen bereit gewesen war, und jetzt lachte sie ihn aus, weil der Sturm in seinem Inneren ihn ins Wanken brachte – weil er, der für die alte Ordnung stand wie kaum ein Zweiter, die Kontrolle zu verlieren drohte. Gefühle quälten ihn, von deren Existenz er bis vor Kurzem nichts geahnt hatte. Er tat das Einzige, was ihm in diesem Augen blick einfiel, um der drohenden Katastrophe zu entgehen: Er kehrte ihr den Rücken zu, breitete seine Schwingen aus und vertraute sich dem Wind an.

     
    Die Feder war nicht ganz so makellos, wie Samjiel vielleicht glauben mochte. Lächelnd fing Iris sie auf und sah ihm nach. Bald verschmolz die helle Silhouette des Kriegers mit dem Wolkenschleier, der heute über der Stadt lag. Was sie in seiner Seele gesehen hatte, beunruhigte sie weniger als die Tatsache, dass sie überhaupt in der Lage gewesen war, etwas darin zu lesen.
    Mit geschlossenen Augen ließ sie sich rücklings von ihrem luftigen Sitz hinunterkippen.
    Während des Flugmanövers streiften ihre Schwingen beinahe das Kirchendach. Sie lachte und erlaubte sich das Vergnügen, dicht über die ersten Sonnenanbeter hinwegzugleiten, die sich

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