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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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betrübt und hilflos, wie das Gesicht der schönen Braut im Spiegel verfiel. Sie dachte an das Schicksal ihrer Namenspatronin, der heiligen Agnes, die ihr Herz an Jesus vergeben hatte und sich für ihn köpfen ließ. Jung, stumm und klaglos. Nur: Die heilige Agnes war eine reine Märtyrerin, die junge Kraxnerbäuerin eine befleckte. Wie froh war die Taubstumme, in diesem Moment keiner Worte mächtig zu sein. Liebevoll wie eine Mutter begann sie, Puder auf das bleiche Gesicht zu legen und sanftes Rot auf die Lippen. Dann flocht sie die seidigen Locken zu einem Zopf, drehte ihn zu einer Schnecke hoch und steckte das Gebilde mit einem verzierten Kamm und einer silbernen Haarnadel fest. Aus einem hölzernen Kästchen entnahm sie einen selbst geklöppelten Spitzenkranz und legte ihn um die Haarpracht. Sachte, mit langsamer Armbewegung bat sie die Braut, sich zu erheben, damit sie ihr das Festtagskleid überziehen konnte. Dann ließ sich die Stumme auf den Boden nieder, legte ein 50-Groschen-Stück in den linken Schuh, und bevor sie ihn der Braut anziehen konnte, sank auch diese zu Boden mit Tränen in den Augen. »Liebste Freundin«, waren ihre Worte, »liebe Cilli, du hörst mich net, doch weißt du so viel, ich wollt, ich könnt mit dir in dein Reich der Stille kommen.« Dann legte Agnes ihren Kopf an die Schulter der Freundin und begann bitterlich zu weinen.
    So fand Urban seine Tochter am Morgen ihrer Hochzeit vor. »Steh auf!«, befahl er schneidend. »Reiß dich zusammen, deine Mutter tät sich im Grab umdrehen, wenn sie dich so sehen würd. Sei froh, dass du den Vinzenz hast, mach mir keine Schand!« Er wandte sich zum Gehen, vor der Tür drehte er sich nochmals um und zischte. »Nicht noch eine!«
    Dann verließ er die Stube.
     
    Die Glocke der Kapelle klang durch den Weiler: Männer, Frauen, Kinder, auf ins Tal!
    In ihren schönsten Trachten trafen sich die Fuchsbichler vor dem Haus des Kneisls, und auf einen Wink vom Oswin hin machten sie sich auf den Weg zur Kirche. Den Männern folgten in geregeltem Abstand die Frauen und Kinder, die einen im schmucken Gewand schreitend, die anderen aufgeregt hin-und herlaufend. Die Agnes heiratet, die Agnes heiratet.
    Und zwei Stunden später saßen alle in der Kirche, die Fuchsbichler, Urbans Schützenverein, Freunde, Verwandte aus den anderen Tälern und Gemeinden, wohl 150 an der Zahl, links und rechts geordnet nach Mann und Frau. Ihre Augen waren auf den Bräutigam gerichtet, der wartend vor dem Altar stand, mit zittrigen Händen, feuchten Augen und einem begehrenden Herz. Die Orgelmusik hob an, gewaltig mit vollem Klang, und die Schönheit ihres Spiels ließ die Hochzeitsgäste, deren Leben hart, oft elend, erbarmungslos und unerbittlich war, vor wundervoller Ergriffenheit erschaudern. Es öffnete sich das große Portal, die Köpfe drehten sich nach hinten, und ein Wispern ging durch die Luft. Die Braut in langer Tracht, Spitzen im Haar, eine Schönheit, die kaum zu fassen war, sie hing am Arm des Vaters. Und war bereit, sich ihren Pflichten hinzugeben.
    Nach der Trauungszeremonie durchdrangen Böllerschüsse das Tal, die Hochzeitsgäste gratulierten dem jungen Brautpaar und feierten dann ausgelassen beim Hoferwirt. Sie verzehrten Braten mit Knödel, tranken kühles Bier und tanzten zur fröhlichen Musik.
    Viele Stunden später zog die trunkene Gesellschaft durch die Nacht, der Herrgott hatte die Himmelsdecke mit Diamanten über sie ausgebreitet, die Luft war klar, und der Mond schien so strahlend, dass der Pfad zum Weiler hell erleuchtet war. Die Väter trugen die schlafenden Kinder, die Frauen stützten die Betrunkenen, und in der Früh um fünf Uhr fing für alle ein neuer Tag an, ein harter Tag wie jeder andere.
    Nur für die Braut begann in dieser Nacht ein neues Leben, ihr zweites, und dass es ein drittes geben würde, ahnte niemand, am wenigsten der frisch vermählte Vinzenz. Das Hochzeitspaar war im Tal geblieben. Man hatte ein Zimmer bereitet, schön geschmückt mit Kerzenlicht, Alpenrosen und Wiesenblumen. Das Bett trug frisches Leinen, die Kissen feine Spitzen.
    Pflichtbewusst und demutsvoll ließ Agnes ihres Mannes Begehren geschehen. Sie spürte seinen pulsierenden Körper auf dem ihren, und während Vinzenz mit jedem Stoß die Liebe in seinem Herzen mehr entfachte, hielt sie das Medaillon in der Hand, jene Worte spürend, die in ihm verborgen auf einem Zettel standen:
     
    Nicht die schwache Zunge darf's gestehen,
    Nicht der Blick verstohlen

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