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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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angelangt war.
    Meistens lag er flach auf dem Rücken, erblickte weder das Diesseits noch das Jenseits, sondern starrte auf die Holzdecke mit ihren Maserungen, Astlöchern und den vielen kleinen Bahnen, die der Hausbock dort hinterlassen hatte, welchen er übrigens eigenhändig ausgeräuchert hatte! Die Bekämpfung dieses hinterlistigen Holzfressers war eine seiner letzten Taten gewesen, denn sie geschah zwei Tage vor dem Schützenfest. Als hätte er insgeheim Vorbereitungen getroffen für die Zeit nach dem Unglück, ahnend, dass ihm andernfalls irgendwann Holzmehl vom Larvenmaul direkt ins Gesicht rieseln würde.
    Nachdem er monatelang zur Decke geschaut hatte, war ihm irgendwann aufgefallen, dass eine gedachte Verbindung der Astlöcher einen Stern ergeben würde. Welch Himmelsbotschaft, überlegte Urban. Offensichtlich war er vom Herrgott noch nicht ganz vergessen worden.
    Wenn ihm danach war, konnte er den Kopf überdies nach links oder rechts drehen. Links sah er einen Tisch und zwei Stühle. Auf einem Stuhl lag sein Holzbein, seit all den Jahren, die er seit dem Schützenfest jetzt schon hier lag, unbenutzt. Doch wollte er es dort wissen, denn man ahnte ja nie, was der Herrgott für Pläne hatte. Und weder im Himmel noch in der Hölle wollte Urban humpelnd, als körperlicher Krüppel erscheinen, schließlich war er ein solcher schon im Geiste. Nein, das Leben war dahin, verkrüppelt, unansehnlich, beschwerlich und schmerzvoll geworden.
    Blickte er nach rechts, was er meist tunlichst vermied, dann grinsten ihn die Fuchsbichler Männer so unverfroren glücklich an, dass es kaum mehr auszuhalten war und er die Augen schließen musste.
    Kurz nachdem Urban aus dem Spital entlassen worden war, hatte ihn der alte Kneisl in dieser Kammer besucht und die Erinnerung an jenen Tag, an dem es passiert war, just neben sein Bett genagelt. Oswin, Gott hab ihn selig. Wann genau der alte Kneisl gestorben war, daran konnte sich Urban nicht mehr erinnern. War es vor drei oder vor vier Jahren? Er wusste nur noch, den Weiler hatte ein derart strenger Winter im Griff, dass man ihm, dem bewegungslosen Bettlägerigen, ein Lammfell um den Kopf gebunden hatte, damit es ihm die Ohren nicht abfror. So kalt war es gewesen, dass Urban seinen eigenen Atem hatte sehen können. An den schlechten Tagen, an denen er mit seinem Schicksal besonders gehadert hatte, stellte er sich vor, er sähe den Todeshauch aus sich strömen. Und an den besseren Tagen hatte er gedacht, er würde genüsslich sein Pfeifchen rauchen.
    In diesem eisigen Winter also hatte sich Oswin eines Tages auf seine Hausbank gelegt, wie man es von ihm sonst nur in den warmen Sommertagen gewohnt war. Er hatte seine Schuhe ausgezogen und auf den Boden gestellt, ein dickes Kissen unter den Kopf geschoben und dann gewartet, bis der kalte Tod ihn heimsuchte. Keine Frage, dass dies schnell geschehen war. Karl hatte ihn gegen frühen Abend gefunden, eingeschneit und steinhart, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Kneisls Buckel war an der Bank festgefroren, sodass Karl am Herd Wasser erhitzen und es über den Verstorbenen kippen musste, damit er ihn loseisen und ins Haus tragen konnte.
    Sie erzählten, Oswin habe drei ganze Wochen lang, tiefgefroren, wie er war, mit seinen über dem Kopf verschränkten Armen an der Wand der Speisekammer zwischen Speck, Zucker und Mehl gelehnt. Dann erst hatten die Winterstürme nachgelassen, sodass man ihn in der Stube langsam auftauen konnte, um seine Beerdigung im Tal anzugehen. Den Toten hatte man in seinem Hochzeitsanzug auf ein Rechbrett aufgebahrt, welches Karl auf seinen Rücken schnallte. Statt eines teuren Sarges musste ein einfaches Brett herhalten. Wie eine der gerupften Krähen, die als Vogelscheuchen auf den Feldern stehen, hatte der tote Oswin ausgesehen. Seinen Anzug nämlich hatten die Motten heimgesucht und im Lauf der vielen Jahrzehnte, die vergangen waren, seitdem Oswin ihn zum ersten und letzten Mal getragen hatte, böse zugerichtet.
    Aber all das spielte jetzt wohl keine Rolle mehr, denn die Larven des Totenkäfers hatten den Rest besorgt. In wessen Auftrag sie wohl an ihm geknabbert und ihn verzehrt hatten? Urban überlegte, welch perfide Getiere stets am Werke waren, wenn es darum ging, die Verwesung einzuleiten und die sterblichen Hüllen zu beseitigen, dienten sie doch zweierlei Arbeitgebern, die gegensätzlicher nicht mehr sein könnten: dem Himmelsvater und dem Höllenfürst.
    Oder waren weder Teufel noch Gott für die

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