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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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anstrengenden Ruckkorbzeit, denn Vater hatte ihm nie verzeihen wollen und Mutter durfte nicht.
    »Oswin, es ist was passiert, wach auf, die Glocken«, schrie er verzweifelt und begann zu rennen.
    »Kann doch net wieder brennen, bei dem Sturm, lieber Gott, keinen Brand. Oswin, wach auf!« Doch der schlief tief und fest, nur seine Beine zappelten hin und her und schlugen Karl bei jedem Schritt, den er tat, in die Rippen.
    Als Karl schließlich das Ende des Lerchenwalds erreicht hatte, ließen die Regenmassen Fuchsbichl vor Karls Augen verschwimmen, sodass ihm alles so schrecklich unwirklich erschien.
    Er lief zu Oswins Haus. »Wo hast denn den Schlüssel, Oswin, das gibt’s doch nicht, dass’d immer noch schlafst!« Vergeblich suchte er in der ausgebeulten Lederhose, bis er den Alten schließlich auf der Hausbank unterbrachte und ihm den Hut über das Gesicht legte. »Entschuldigst, lieber Oswin, aber hier ist’s ja trocken, ich geh nachschauen, warum die Glocken läuten.«
    Inzwischen hatte die Regenflut den Pfad zu einem matschigen Brei werden lassen, in den Karl mehrere Male der Länge nach hineinfiel. Als er schließlich die Kapelle erreichte und durch die weit geöffnete Tür ins Innere trat, wandten sich die Köpfe der dort Sitzenden jäh nach ihm. Wie schrecklich muss er ausgesehen haben, denn die Frauen begannen zu schreien, als stünde der Leibhaftige vor ihnen, gerade dem tiefen Inneren der Erde entsprungen, mit weit aufgerissenen Augen, deren Weiß durch den Matsch leuchteten, dass es einem zum Grausen war.
    »Große Güte, Karl«, rief Elfriede, nachdem sie ihren Sohn schließlich erkannt hatte. »Dich schickt der Himmel, auch wenn du nicht so aussiehst.« Dann erzählte sie, was geschehen war. »Die Mure, es ist hinten am Gaisbach wieder eine Mure abgegangen, die ganze Erde hat gebebt, Karl, so schrecklich. Bis jetzt ist sie bis zur unteren Wegebiegung zum großen Findling gekommen, Karl, wenn der Sturm net aufhört, wer weiß, was dann von oben noch auf uns zukommt.« Sie bekreuzigte sich. »Aber was das Schlimmste ist: Tobi und Wurzl sind verschwunden. Wir haben sie viele Stunden g’sucht, überall.«
    »Stimmt nicht«, entgegnete Hanni, »wir warn net beim Tremplerhof. Karl, ist doch net möglich, dass er dort ist?«
    Die Frauen sahen ihn erwartungsvoll an, alle, nur Agnes nicht. Die kniete vor der Statue und hielt die Hände gefaltet. In ihren Augen lag Verzweiflung.
    »Wie soll er denn zum Tremplerhof kemma sein? Der Weg dorthin ist ja net begehbar, das weiß doch auch der Tobi«, beruhigte Karl die Frauen und wischte sich mit dem Ärmel den Dreck vom Gesicht.
    Cilli erhob sich und ging auf Karl zu, Hanni sprach aus, was ihre Mutter dachte. »Wo sind die anderen Männer? Wir brauchen sie alle.«
    »Oswin hat einen Mordsrausch, der schlaft auf der Hausbank. Die anderen kemma sicher bald. Urban, na ja, Urban ist auf einmal nimmer da g’wesen, wollte nur kurz zum Pinkeln.« Er zuckte mit den Achseln, und jeder verstand, was Karl nicht aussprechen wollte: Kennst ja den Urban, so ist er auf den Festen halt, steigt jedem Rockzipfel hinterher und verschwindet mit den jungen Mädchen irgendwo hinter den Scheunen oder Büschen. Und da ist er jetzt. Wahrscheinlich.
    Da stand er nun vor den verzweifelten Frauen, der Ruckkorbkarl.
    Der Sohn, der seine Eltern ins Unglück getrieben hatte, der Karl, der einst so armselig war und gewachsen ist mit jedem Tag, den er hatte büßen müssen in den Felsen. Und nun gab es keinen, der sich so gut auskannte in der Bergwelt rund um Fuchsbichl wie er.
    Draußen pfiff der Sturm um die Kapelle, und der Regen trommelte ans Fenster, als würde das Himmelsheer ihn herausfordern, komm, komm, wag dich mitten unter uns, versteck dich nicht hier im Gotteshaus, wie du es damals gemacht hast, als das Feuer brannte. Weißt du noch?
    Karl verließ wortlos die Kapelle. Tief nach vorn gebückt kämpfte er sich durch das Unwetter, weiter den matschigen Pfad hoch, bis er zur Biegung kam, wo der große Findling lag. Dort erstreckte sie sich wie ein riesengroßes steinernes Ungeheuer, lang, so weit das Auge reichte und schier unbezwingbar mit all dem losen Geröll, aus dem sie bestand: die Mure.
    Karl begann auf ihrem Rücken in die Höhe zu klettern, er krallte sich an ihre Felsbrocken, sprang von Stein zu Stein, rutschte dabei immer wieder auf der glitschigen Oberfläche aus oder stolperte in ihre tiefen Löcher, bis Strümpfe und Hose zerrissen an seinen Beinen hingen. Die Sinnlosigkeit

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