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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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sterblichen Überreste verantwortlich, sondern nur noch für die Seelen?
    Hatte der Körper nach deren Fortgang keinen Wert mehr?
    Warum aber verwendete man dann so viel Aufwand und kleidete die Toten stets so fein für den Gang aus dem Diesseits? Wenn die Seele doch schon unterwegs war und nach oben oder nach unten flatterte?
    Und wie verhielt es sich mit der Körperlichkeit im Fegefeuer? Traf dort nur die Seele ein? Oder trug sie den leblosen Körper um sich?
    Fegefeuer und Verwesungsprozesse, um diese Formen des menschlichen Abschieds vom Irdischen und des Weges zur Ewigkeit, kreisten Urbans Gedanken überwiegend, seitdem seine körperliche Hülle diese Kammer nicht mehr verlassen konnte.
    Erfrieren, ja, Oswin, da hast dir einen geschickten Fortgang aus deinem Leben ausgewählt, dachte Urban neidvoll. Tiefgefroren ins Fegefeuer, das war ein guter Anfang in der Hitze. Und überhaupt: Das Leben erfrierend verlassen war augenscheinlich besser, als derart dahinzusiechen, ohne Leben im Körper außer all den vielen Gedanken, wie es sein eigenes Schicksal für ihn bestimmt hatte.
    Wann Agnes wohl kommen würde? Diese Frage stellte er sich weit häufiger als alle anderen. Zwar hatte er noch keinen Hunger. Aber Durst, wie so oft. Agnes gab ihm nie genug zu trinken, woher auch sollte sie wissen, was ein bettlägriges Lebewesen wie er an Flüssigkeit brauchte. Vor allem aber musste er scheißen. Seitdem er hier in dieser Kammer lag, nannte er diesen Vorgang so, denn gesittet aufs Klo gehen konnte er ja nicht mehr. Wie auch! Er hatte weder sein einziges Bein noch seinen Schließmuskel unter Kontrolle, also lag er da wie ein Faultier und schiss wie ein solches. Mit dieser Einstellung ließ sich für Urban das demütigende Gefühl besser ertragen, wenn er zusehen musste, wie Agnes die Pfanne unter seinen Hintern schob und den Inhalt dann mit angeekeltem Ausdruck vor die Tür stellte. Besonders erniedrigend für ihn waren jene Tage, an denen Agnes auf sich warten ließ und alles zu spät war.
    So ein Tag war heute.
    Wo blieb sie? Sie sollte sich besser um den Vater kümmern, dachte er, schließlich trug sie auch eine gewisse Mitschuld an seiner Misere.
    Wer hatte denn das Tremplerblut mit dem Kraxnerblut vermischt? Gegen seinen Willen! Er spürte, wie Zorn in ihm aufkam. Deswegen füllte er seine Lungen mit so viel Luft wie er konnte und presste sie mit aller Kraft durch seinen Mund. »Uhhhh.« Er konnte sich selbst nicht hören, so schrecklich klang das Jaulen, das er aus seinem Körper stieß. Wie ein Vieh, dachte er. Ein gar Grausiges. Doch was war sein Heulen schon im Vergleich zu dem Regensturm, der seit Tagen über sein Dach herniederging?
    Niemand würde ihn hören, dachte er. Niemand.
    Urban roch verbrannte Kräuter. Endlich! Es öffnete sich die Kammertür, und Agnes trat herein. Sie hatte einen Becher Milch mitgebracht.
     
    Seit acht Tagen nun schüttete der Himmel Wassermassen über Fuchsbichl aus, so wie er es öfters im Sommer tat, um der Schwüle ein Ende zu bereiten. Anfangs spannten die Touristen noch ihre Schirme auf und wagten sich zumindest für einen kleinen Spaziergang nach draußen. Mittlerweile waren die Wege jedoch zu matschig geworden, um auf ihnen wandern zu können. Der Sessellift stand still, die Almen schlossen ihre Pforten. Die Urlaubsgäste saßen in den Foyers und spielten Karten oder Mensch ärgere dich nicht. Was blieb ihnen schon anderes übrig. Einige waren verdrossen abgereist, denn das Wetter war anderswo freundlicher als in den Bergen.
    Horst war im Lauf der trüben Tage missmutig geworden, auch er plädierte für eine Flucht aus der beharrlichen Schlechtwetterfront. Doch dann fesselte ihn die plötzlich erwachte Wollust seiner Gefährtin ans Bett. Und nach einigen Vormittagen heftiger und verwegener Liebesakte, wie er sie vorher noch nie erlebt hatte, hatte er beschlossen, Isabels neu erwachte Lust zu genießen und auf eine vorzeitige Abreise zu verzichten. Und so schloss er die Augen, sah den Regen nicht mehr, wie er in feinen Perlen das Fenster hinunterrann, sondern spürte Isabels Lippen seinen Körper abtasten. Wer wusste, wie lange diese Zeit andauern würde, so unberechenbar Isabel in dieser Hinsicht war.
    Hätte er geahnt, wo Isabels Sinne sich befanden, wenn ihr Körper ihn bei Kerzenlicht im heißen Badewasser verführte, wenn sie ihn mit feuchten Küssen überdeckte, wenn sie unter ihm stöhnte, er hätte es nicht verstanden.
    Hinterher lagen sie heftig atmend in den Kissen,

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