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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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aasig. Deswegen weigerte sich die Kraxnertochter fortan, das Innere des Stalls ohne brennende Kräuter zu betreten, auch wenn Vinzenz ihr immer wieder vorwerfen mochte, sie wäre nicht mehr ganz bei Sinnen und würde wilde Geschichten fantasieren. Dennoch tat Agnes alles, um den Leibhaftigen zu vertreiben, denn sie fürchtete diesen, so wie den Vater, wenngleich der so viel Unrecht getan hatte. Außerdem, den Vater in der lodernden Hölle zu wissen, das erlaubten ihr nur finstere Träume, aus denen sie dann stets zerrissen zwischen Ehrfurcht und Hass erwachte.
    Links neben der Treppe, die hinauf zu Urbans Krankenlager führte, hing ein kleines Gefäß mit Weihwasser, das sie jeden Sonntag nach dem Kirchgang vom Pfarrer gesegnet bekam. Und über seinem Bett hing ein großes Kruzifix, an das Agnes eine Kette Knoblauch gebunden hatte.
    Dennoch trieb der Satan sein unheilvolles Spiel mit dem Vater, fürchtete sie, so wie der beieinander war. Manchmal fragte sie sich, ob im Vater noch eine Seele saß, oder ob er zumindest innerlich schon gestorben war und nur noch aus einer Hülle bestand, die zwar trank und aß, aber sonst wie ein Leichnam wirkte: die erschreckend faltig fahle Haut, die leeren, matten Augen unter den wilden Brauen, die eingefallenen Wangen, die ausgefallenen Zähne, der dünne, rissige Mund, der nur noch aus einer winzigen Öffnung bestand, eingerahmt von weißem Bartgestrüpp.
    Ja, hier in der Kammer, da roch es nach Tod und Teufel.
    »Vater, bin wieder da«, sagte sie und stellte die Milch und die brennenden Kräuter auf den Tisch. Dann kam sie mit ihrem Gesicht dicht an das seine, um zu sehen, ob der Herr in der vergangenen Nacht doch ein Erbarmen gehabt hatte. Weil sie dünnen Atem spürte, zog sie seufzend seinen hageren Körper in die Höhe und bettete ihn so, dass Urban ins Diesseits blicken konnte. Danach öffnete sie das Fenster, um den beißenden Gestank hinauszulassen.
    »Vater, musst was essen!« Sie holte ein Stück Weißbrot aus der Schürze, tunkte es in die Milch, bis es schlabberig wurde, und presste es dann zwischen Urbans Lippen. Eine rissige, blutleere Zunge leckte den letzten Rest ab, der um den Mund klebte.
    Agnes tastete unter seinem Körper das Leintuch ab und fühlte, dass das Bett schon wieder feucht war. Doch heute hatte sie keine Kraft, den Alten herumzurollen, um ein frisches Laken unter seinen Körper zu ziehen.
    »Vater, warum hast net g’wartet?«, schimpfte sie ihn wie ein kleines Kind, während sie ihm die Pfanne unter das Gesäß schob.
    »Jetzt mach, wenn’st kannst, mach.« Sie wartete eine Weile, doch es rührte sich nichts, weder in den Gedärmen noch in der Blase. Also zog sie die Pfanne wieder unter ihm hervor und stellte sie unter das Bett.
    Sie setzte sich auf den Bettrand und betrachtete ihn. Lange und in Gedanken versunken. Sie sollte es ihm sagen, nicht mehr schweigen, wie all die Jahre. Es ihm sagen, bevor man sie holen würde. Sie spürte, dies würde bald geschehen, wenn sie weiterhin nächtens durch die Gegend irrte, um den Bub zu suchen, der schon längst nicht mehr auf Erden war, wie es alle sagten. Ja, sie würden kommen, alle, die Fenders, die Granbichlers, der Oswin, die Cilli und der Vinzenz. Sie würden sie in ein Spital für kranke Köpfe und arme Seelen führen, wenn sie nicht endlich zu Sinnen käme und Tobi in Gottes Obhut übergäbe. So sagten sie es alle.
    »Vater«, flüsterte Agnes und wischte ihm mit der Schürze die Milch vom Bart. »Sie haben den Wurzl g’funden. Tot ist er jetzt, aber er hat noch g’lebt vor ein paar Wochen. Fremde aus Deutschland haben ihn g’sehn, drunten im Tal. Vater, nie hast mir g’sagt, was g’schehn ist an dem Tag, mit dem Wurzl und mit meinem Tobi. Nie hast mir g’sagt, was du oben trieben hast am Berg, bevor die Mure kemma ist. Warum warst net wie die andren drunten am Schützenfest?« Sie schlug mit dem Schürzenzipfel auf seine Brust.
    »Vater, wehe«, sagte sie mit drohender Stimme, »du stirbst, ohne dass du g’red hast! Nein, vorher derf er dich net holen, der Herrgott!« Sie beugte sich an sein Ohr und zischte:
    »Draußen wartet der Teufel, Vater, tu was, sonst holt er dich!«
    Sie schlug mit der Hand auf die Bettdecke. »Vater, wo ist der Tobi? Gib mir mein Kind zurück, siehst net, was dein Schweigen aus mir g’macht hat? Nie hast ihn wollen, den armen Bub, weilst von Beginn an g’wusst hast, dass er vom Luis war.«
    Sie begann zu schluchzen. »G’hasst hast den Luis, g’hasst und

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