Himmelsspitz
den Leibhaftigen. Drüben, beim Vater.«
Doch ihr Mann saß nur da, regungslos, mit kalten Augen, dass Agnes erschauderte.
»Heut net«, sagte er und goss sich einen Schnaps ein, »Weib, heut mag i nimmer. Ich kümmer mich morgen um den Teufel, ich versprech’s. Morgen, am Tag des Herrn kümmer ich mich um seinen g’fallenen Engel. Ist versprochen, hoch und heilig.« Er leckte sich die Finger ab und tat einen Schwur. »Jetzt aber lass mir mei Rua, du wirres Weib.«
Agnes sah sich hilflos in der Küche um, als suchte sie nach jemandem, der ihre Bitten vernehmen könnte.
»Helft’s mir«, sagte sie flehend.
»Geh, verschwind, geh mir aus den Augen«, herrschte Vinzenz sie schließlich an.
Da ließ sie sich vor seine Füße fallen, packte seine Hand und wimmerte: »Warum nur willst net glauben, dass der Teufel drüben beim Vater wohnt.« Sie hielt kurz inne und blickte verstohlen hinter sich. »Und hier bei uns, im Haus, hab ich ihn auch schon g’sehn, Vinzenz, glaub’s mir.«
Er schüttelte sie von sich wie ein lästiges Insekt. »Lass mich, Weib, geh lieber beten, was anderes kannst eh nimmer.«
Wortlos verließ Agnes die Küche und schlich hinüber in die Stube. Sie öffnete die Fenster und atmete die frische Luft tief in ihre Lungen. Dann zündete sie zwei Kerzen an, bekreuzigte sich und kniete nieder, vor ihrer Heiligen. Lange blieb sie so, leise murmelnd, bis sich die Nacht über Fuchsbichl senkte.
Plötzlich war leises Rascheln vor dem Fenster zu vernehmen.
»Jetzt sind’s da, Muttergottes, jetzt kommen’s und bringen mich ins Spital«, flüsterte sie. »Bitt für uns, auf dass wir uns wiedersehn, alle miteinander. Alle, die a Lieb im Herzen tragen.«
Geh nur, geh nur, geh rüber zu deinem nichtsnutzigen Mann, dachte Urban, nachdem ihn seine Tochter verlassen hatte. Seine Gedanken flogen mit ihr hinüber zum Hof, hinein in die Stube. Dort sah er im Geist die Vitrine mit dem Schnaps, welchen er vermisste. Auch sah er seine Pfeife an der Wand hängen und manchmal meinte er Vinzenz zu beobachten, wie der gierig nach diesen Schätzen griff.
Dieser Vinzenz, hatte er früher noch artig gebuckelt, war er jetzt nur noch ein bequemer, fauler und unverschämter Nichtsnutz, der auf meinen Tod wartet, um die Herrschaft am Hof anzutreten. Ist immer noch mein Hof, dachte Urban. Wenn Vinzenz kam, um ihn zu füttern, trug er von allen den größten Spott in den Augen.
»Is jetz so weit, alter Kraxner, hättest net dacht, dass’d amal so endest, kannst nix sagen, net g’scheit essen, lasst dich füttern wie a Säugling. A Schand ist des alles, a Schand, dass’d net stirbst! Lange hab i warten müssn, aber jetzt is so weit, bist nimmer der Großbauer, sondern ich, der Vinzenz.«
Im Geiste ballte Urban die Faust, doch dann nahm er alle Kraft zusammen, die er in seinem Kopf noch hatte, und verdrängte alle Gedanken an den Schwiegersohn, zu sehr quälten diese ihn.
Im Lauf der Zeit war Urban übrigens ein wahrer Herrscher über seine Gedanken geworden, über diese Quälgeister, die lange Zeit in ihm umhergeschwirrt waren wie ein wildgewordener Bienenschwarm, die mit ihm machten, was sie wollten, ihn piesackten und nicht schlafen ließen. Er hatte sie so entwirrt, wie er es mit einem Wollknäuel getan hätte: nicht mühsam, vorsichtig auseinanderzupfen, sondern in winzige Stücke zerhacken. Klitzeklein waren nun die Gedankenfäden, sodass sie nie zu Ende gedacht werden konnten, wenn sie ihm nicht gefielen. Und das tat teuflisch gut!
Sonntagnachmittag, gegen vier kamen öfters ein paar Fuchsbichler zu Besuch, mal war es die Cilli mit oder ohne Familie, mal der Fertl, mal einer der Fenders. Am liebsten mochte Urban es, wenn sie alle beisammen saßen, dann holten sie von unten die alten Melkschemel in seine Kammer oder setzten sich zu ihm ans Bettende. Sie brachten Kuchen und Kaffee mit und sprachen über dies und das. Früher hatte es das so nicht gegeben, dieses Reden, man war sich meistens aus dem Weg gegangen, alles andere wäre für den Frieden im Weiler nicht gut gewesen. Urban mochte ihre Gegenwart, denn sie ließ darauf schließen, dass keiner in Fuchsbichl auch nur die leiseste Ahnung hatte von dem, was vor vielen Jahren wirklich geschehen war. Am Tag des Schützenfests.
Und so freute Urban sich, wenn die Fuchsbichler seine Existenz im Lauf der Zeit immer weniger zur Kenntnis nahmen. Einzig Cilli warf ab und an noch einen Blick auf ihn, schüttelte den Kopf und seufzte. Seufzen, das hatte die
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