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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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deswegen auch fortg’schickt. Er wollt auf mich warten, Vater, des hat er mir versprochen. Aber du hast ihn fortg’jagt. Des hab i immer g’wusst. Warum nur, Vater, warum?«
    Heftig atmend stand sie auf und trat ans Fenster. »Warum hast du die Tremplers immer so g’hasst?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme. »Was hat dir der alte Bauer antan, und was der Luis? Waren immer brave Leut, einfach haben’s g’lebt, weißt selbst. Mei Vater, wie viel hast du g’hasst in deinem Leben? Kein Wunder, dass dich St. Michael nicht rauslasst, hier aus deinem Fegefeuer.«
    Sie kehrte zurück an sein Bett. Ihre Augen funkelten, als sie leise sagte: »Vater, noch was: Ich hab sie alle g’funden. Unten, im Keller, ganz hinten, unter dem Schnapsregal hast sie versteckt, all die Jahr. Aber ich hab sie g’funden.«
    Sie holte einen Packen Briefe aus der Schürze und legte sie auf seine dünne Brust. »Da, alle vom Luis. An mich, an Agnes! Aber du hast sie mir nie geben, weilst gegen die Liebe bist. Mein Gott, Vater, du bist so voller Hass!« Dann hob sie seinen Kopf und goss ihm etwas Milch durch die kleine Öffnung. Anschließend rollte sie ihn auf die Seite, rieb den wunden Rücken mit Melkfett ein. Dicke Tränen tropften dabei auf seinen Körper.
    »Ach Vater«, weinte sie, schüttelte die Decken und breitete sie über dem ausgemergelten Leib aus.
    Sie verbarg ihren Kopf in den Händen und ging erregt die Kammer auf und ab.
    »Morgen ist der Tag des Herrn. Weißt du, Sonntag ist, aber morgen kommt niemand dich b’suchen, denn der Pfarrer betet in der Kirche für den Tobi. Ist sein Geburtstag.« Sie hielt kurz inne. »Weißt du, seit wie vielen Jahren Tobi fort ist? Weißt des?« Sie trat an sein Bett. »Vater, sag doch endlich was, red mit mir! Und wennst auch schimpfst, aber red!« Sie zog ihn an seinem schütteren Haar in die Höhe und schüttelte den Kopf des Alten hin und her.
    »Red, hab ich g’sagt.« Dann ließ sie ihn wieder ins Kissen zurückfallen, setzte sich an sein Fußende und betrachtete das, was von ihrem Vater übriggeblieben war.
    Das tat sie jeden Tag aufs Neue. Sie sah ihn an, mit vorwurfsvollen Blicken. Schleichst dich gemein aus dem Leben, ziehst mich mit in den Abgrund, dachte sie. Und dann krochen die Dämonen aus dem hintersten Winkel ihres Kopfes hervor und begannen zu tuscheln:
    »Alter Armer, wie erbärmlich du geworden bist, wie ekelhaft, wie unwürdig, eine stinkende, scheußliche Kreatur.« Ihr Spott und Hohn wurden lauter und lauter, schlimmste Verwünschungen prasselten auf den Kraxnerbauer herab. Agnes, die sonst so milde Tochter, wurde zur Furie mit wilden Augen und langen, erbarmungslosen Fingern, die dem Wehrlosen ins Gesicht schlugen und mit ihren spitzen, langen Krallen über die Arme fuhren. Sie zwickten und rissen an ihm. Als Blut durch seine fahle Haut sickerte, fasste sich Agnes erschrocken an den Kopf.
    »Vater«, flüsterte sie, »alle sagen’s, dass ich verrückt werd: die Cilli, der Vinzenz und der Fertl. Sogar die Josepha sagt’s. Sie sagen, dass ein Sankra kemma werd und mich holt, wenn’s so weitergeht mit mir. Aber das lasst net zu, gell Vater, das erlaubst net. Bin ja schließlich deine Agnes. Hast des net vergessen? Bin dein Kind!« Mit einer zarten Handbewegung strich sie den festgeklebten Brotrest von seinem Mund und begann, mit einer Schere seinen Bart zu stutzen.
    »Der Wurzl hat g’lebt, so lang. Über all die Jahr hab ich recht behalten, keiner hat mir glaubt. Nur die Jungfrau Maria, die hat’s mir g’sagt, dass ich mir das Hoffen net nehmen lassen sollt. Das Hoffen, Vater, wenn man mir des nimmt, drunten im Spital, dann hab ich ja nichts mehr im Leben. Verstehst? Und du auch net!«
    Sie gab ihm den Rest der Milch zu trinken.
    »Schau, Vater, der Regen hat nachg’lassen, kaum Wolken mehr am Himmel. Heut Nacht kannst den Mond und die Sterne sehen. Vielleicht siehst a Schnuppe, dann kannst dir was wünschen. Gute Nacht, Vater.« Agnes küsste ihn zum Abschied auf die Stirn.
    »Schlaf gut. Und morgen, ist a besonderer Tag, Tobi sein Geburtstag, den derfst net vergessen!«
    Dann verließ sie die Kammer.
    Als sie die Treppen nach unten stieg, stand er vor ihr, der Höllenfürst. Gar furchterregend blitzten seine Augen im Dunkel.
    Agnes ließ den Becher fallen und stürmte aus dem Stall.
    »Vinzenz«, schrie sie. So schnell ihre Füße sie trugen, rannte sie hinüber zum Haus. »Helf mir, Vinzenz«, stotterte sie außer Atem. »Ich hab ihn wieder g’sehn,

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