Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer
auch schon wieder gestorben waren – erneut Offiziersuniform und focht Seite an Seite mit dem Ehemann und zwei Söhnen. Sie musste mit ansehen, wie erst ihr älterer Sohn und dann ihr Gatte erschlagen wurden, und dann zerschmetterte eine englische Kugel ihrem zehnjährigen Joseph den Kopf.«Ich sah das eine Aug und das Gehirn gerade vor mir verspritzen», ließ Regula die Nachwelt wissen; sie selbst erhielt eine Kugel in den Hals und einen Bajonettstich in die rechte Seite.
Schwer verletzt, verwitwet und fast all ihrer Kinder beraubt, wurde Regula Engel,«in tausendfacher Betäubung über die Verlüste des heutigen Tages», ins Hospital von Brüssel eingeliefert. Nach sechs Wochen war sie wieder transportfähig und wurde nach Paris gebracht, wo sie einen weiteren Monat Zeit hatte, ihre unbequeme finanzielle Lage zu überdenken. Bonaparte hätte«seiner kleinen Schweizerin», da sie nun Witwe war, zweifellos eine Rente ausgesetzt. Leider aber befand er sich nun auf St. Helena in der Verbannung, und die an die Macht zurückgekehrten Bourbonen zeigten keinerlei Neigung, feindliche Soldatenweiber finanziell zu unterstützen.
Völlig auf sich gestellt, ohne Geld und müde von unzähligen Schlachten und Geburten, sah sich Regula nach einem warmen Plätzchen für ihre alten Tage um. Nur fünf ihrer einundzwanzig Kinder waren noch am Leben, aber alle waren weit weg oder verschollen. Die ägyptischen Zwillinge waren angeblich mit Napoleon in die Verbannung gegangen, Tochter Catharina lebte in Italien und war unauffindbar; die in Lyon verheiratete zweite Tochter Nanette gab der Mutter tatsächlich ein Obdach, starb aber wenig später im Kindbett; also blieb nur Caspar, Regulas drittgeborener Sohn, der mit Napoleons Bruder Joseph, dem Exkönig von Spanien und Neapel, nach Amerika gegangen war.
Regula Engel beschloss mit fünfundfünzig Jahren, nach Amerika auszuwandern. Sie ging nach Le Havre und bettelte bei Schweizer Kaufleuten das Reisegeld zusammen, stach am 13. September 1816 mit der Favori in See und langte nach achtundsiebzig Tagen Fahrt, während derer sie ununterbrochen seekrank war, mehr tot als lebendig in New York an. Einigermaßen wiederhergestellt, reiste sie weiter nach Philadelphia, wo Joseph Bonaparte eine herrschaftliche Farm betrieb – und musste vom Exkönig erfahren, dass ihr Sohn nach New Orleans weitergereist war.«Welch eine Nachricht für eine Mutter, die in dem Augenblicke, wo sie glaubte, sich in die Arme des Sohnes werfen zu können, sich wieder mehrere hundert Stunden von ihm entfernt sieht.»
Regula erbettelte auch vom Exkönig Reisegeld und fuhr mit der Postkutsche an den Mississippi, dann per Schiff flussabwärts nach New Orleans. Bei der Ankunft war sie so geschwächt, dass man sie ins Hotel tragen musste. Immerhin fand sie noch gleichentags ihren Caspar – aber der war an Gelbfieber erkrankt, erschöpft und verbittert durch enttäuschte Hoffnungen und ausgestandene Strapazen. Er starb nur drei Tage später in den Armen der Mutter. Es war das achtzehnte ihrer Kinder, das sie dem Herrn zurückgab.«Feyerlich war das militärische Begräbnis, aber herzzerreißend für die hinterlassene Mutter, die Meere durchschiffet, Berge, Flüsse und Seen mit Lebensgefahr passiret hatte, um diesen ihren Sohn, jetzt die einzige Stütze ihres Alters, aufzusuchen, und ihn in dem Augenblicke gefunden hatte, wo der Tod schon seine kalten Fittige um ihn geschlagen und ihn unerbittlich zur Beute des Grabes gemacht hatte.»
Zehn Monate musste Regula Engel in New Orleans ausharren, bis sich eine Gelegenheit zur Rückreise nach New York bot, und noch einmal mehrere Monate, bis es am 3. Dezember 1819, nach mehr als drei Jahren in Amerika, wieder heim nach Europa ging. In dieser Zeit hatte sie angefangen,«eine andere Grille in den Kopf zu fassen»- nämlich den Plan, in London die Bezwinger Napoleons um die Gnade zu bitten, ihren ägyptischen Zwillingen ins Exil nach St. Helena folgen zu dürfen. Die Überfahrt nach England war stürmisch und dauerte achtundzwanzig Tage; auf die Bittschrift, die Regula Engel eigenhändig ins Palais des Prinzregenten trug, erhielt sie die Antwort, dass es ihr nicht erlaubt sei, nach St. Helena zu reisen; hingegen sei ihr unbenommen, ihren Söhnen Briefe dorthin zu schreiben, wobei diese offen dem Ministerium vorgelegt werden müssten. Das tat sie denn auch. Eine Antwort von ihren Söhnen erhielt sie nie.
Das ist nicht verwunderlich, denn ihre ägyptischen Zwillinge – das kann
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