Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer
der Glaube fällt schwer. Zwar stimmt es tatsächlich, dass Joséphine am 16. März 1794 inhaftiert wurde – aber nicht im La Force, sondern im Les Carmes, einem ehemaligen Karmeliterkloster in der Rue de Vaugirard. Zweitens berichteten ihre Mitgefangenen, dass Joséphine sich keineswegs durch königliche Gelassenheit auszeichnete, sondern vielmehr durch enervierende Weinerlichkeit und ständiges Liebesgetändel mit Wärtern und Gefangenen. Drittens erinnert sich niemand, dass auch Marie Grosholtz anwesend gewesen wäre, und viertens taucht ihr Name auf keiner Gefangenenliste auf.
Das will nun nicht heißen, dass sie gelogen hat. Vielleicht befand sich Marie wirklich in Haft und hat nur die Gefängnisse verwechselt, und vielleicht steht sie nur deswegen nicht auf der Liste, weil sie ihren Namen – wie damals üblich – im Nachhinein mittels Bestechung entfernen ließ. Und möglich ist schließlich auch, dass Joséphine tatsächlich hin und wieder königlichen Mut bewies und nicht immer nur die weinerliche Kokotte war, als die sie beschrieben wird. Wer weiß.
Sicher ist, dass Joséphine und Marie ein paar Wochen später wieder auf freiem Fuß waren. Und auffällig ist, dass von da an ihre Lebensläufe eine Weile in eigentümlichem Gleichschritt verliefen. Am 23. Juli wurde Joséphines Ehemann auf der Guillotine hingerichtet, am 26. September starb Maries väterlicher Beschützer Curtius zu Hause im Bett. Ohne männlichen Schutz auf sich allein gestellt, verbrachten die zwei Frauen ein Jahr in Trauer, wie es sich gehört. Danach heiratete Marie ihren Gehilfen im Wachsfigurenkabinett, den acht Jahre jüngeren François Tussaud, der wohl schon lange ihr heimlicher Geliebter gewesen war. Und Joséphine gab ihr Jawort einem sechs Jahre jüngeren Mann, der erst seit Kurzem in Paris weilte und in den besten Kreisen Furore machte – dem korsischen General Napoleon Bonaparte.
Die Ehe mit den zwei sechsundzwanzigjährigen Männern ließ sich für die beiden Frauen nicht sehr glücklich an. Nur zwei Tage nach der Hochzeit brach Napoleon zu seinem Italienfeldzug auf, und zur gleichen Zeit musste Marie ihren Gatten mit ein paar Wachsportraits nach England schicken, damit er diese in dunklen Hinterzimmern verrauchter Pubs für wenig Geld herzeigte. Während der Abwesenheit des Gatten pflegte Joséphine Umgang mit ihren Liebhabern, und Marie Tussaud hatte Sehnsucht nach ihrem François, kümmerte sich ums Wachsfigurenkabinett und stellte nach ein paar Wochen fest, dass sie schwanger war. Dann kehrte François Tussaud aus England zurück, und Napoleon zog als Eroberer Italiens triumphal in Paris ein.
Einmal soll es geschehen sein, dass die zwei Freundinnen aus der Gefängniszeit erneut zueinanderfanden. Da Joséphine immer wieder aufs Neue befürchten musste, dass Napoleon sie für einen Feldzug verlassen würde, rief sie Marie Tussaud herbei, damit sie vom Ehemann eine Wachsbüste anfertigte.
Morgens um sechs Uhr habe sie sich in Bonapartes Residenz in den Tuilerien einfinden müssen, schreibt Marie in ihren Memoiren. Der General sei mürrisch und wortkarg gewesen, während sie ihm das Gesicht mit Gips zukleisterte und zur Sicherstellung der Luftzufuhr zwei Strohhalme in die Nase steckte. Als sie ihm sagte, er brauche sich keine Sorgen zu machen, habe er geantwortet:«Sorgen, Madame? Ich würde mir auch dann keine Sorgen machen, wenn Sie meinen Schädel mit geladenen Pistolen umzingelten.»
Marie Tussaud stellte die Büste ohne weitere Zwischenfälle fertig und überbrachte sie Joséphine. Wenig später war Napoleon wieder verschwunden.
Am 19. Mai 1798 stand er auf der Kommandobrücke des Flaggschiffs L’Orient, das mit einer gewaltigen Flotte von zweihundert Segeln und fünfunddreißigtausend Mann den Hafen von Toulon in Richtung Ägypten verließ. Mit ihm an Bord befanden sich dreizehn Offiziersgattinnen, die ihre Männer auf dem Feldzug begleiteten. Eine von ihnen war Schweizerin, ein großes und starkes Weib von siebenunddreißig Jahren, anderthalb Jahre älter als Joséphine und auch einige Monate älter als Marie Tussaud. Ihr Mann war zwanzig Jahre im Dienste Frankreichs über die Schlachtfelder Europas gezogen – erst für Ludwig XVI., dann für die junge Republik und jetzt für Bonaparte. Die Frau war ihm überall hin treu gefolgt und hatte ihm fast jedes Jahr ein Kind geschenkt, manchmal auch Zwillinge. Napoleon musterte das Weib, wandte sich ihrem Mann zu und fragte:«Ist sie nicht schwanger?»
«Ich weiß es
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