Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
wirklich betrifft. Wahrscheinlich erzählt sie dem Nächsten genau dieselben Dinge wir mir, egal, was für ein Problem der hat.
Ich beschließe, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, betreibe sozusagen Eigentherapie: Ich gehe zum Tauchen und stelle mich einem Problem, das ich schon immer hatte: mit Flaschensauerstoff unter Wasser ruhig weiterzuatmen. Das ist für mich fast genauso schlimm wie die Sache mit dem Anzug. Mit dem Lungenautomaten im Mund und dem Widerstand beim Atmen habe ich permanent das Gefühl zu ersticken. Diese Gummimaske, die ans Gesicht gepresst wird, und dazu das Atemgeräusch. Gefangen in meiner eigenen Welt, genau wie im Anzug. Ich glaube, das Training unter Wasser könnte mir helfen, der Sache wortwörtlich auf den Grund zu gehen. Ich rufe Christian Redl an, einen Apnoe-Taucher aus Wien, und frage, ob er nicht mit seiner Ausrüstung vorbeikommen kann: »Lass uns doch im Leistungszentrum Rif trainieren!«
Christian kommt und erklärt mir, wie ich mich mithilfe eines Atem-Lungen-Funktionstrainers an den Atemwiderstand gewöhnen und mein Stresslevel senken kann. Durch das Gerät kann man Luft ansaugen und den Atemwiderstand über eine flexible Membran verändern. Je mehr ich die Membran schließe, desto größer wird der Widerstand, desto schwerer kann ich einatmen. Dieses Trainingsgerät kann man überall benutzen, zum Beispiel vor dem Fernseher: Klammer auf die Nase, Gerät einstellen, auf den Mund pressen – und der Stress kommt ganz von selbst.
Joe Kittinger hatte mir erklärt, dass es für Kampfflugzeugpiloten Systeme mit Pressatmung gibt. Die Piloten müssen nicht nur beim Einatmen einen Widerstand überwinden, sondern auch beim Ausatmen. Ein irrsinniger Stress, weil es dafür enorm viel Kraft braucht. Die Kunst der Top-Piloten ist es, auch unter diesen Bedingungen noch Höchstleistungen zu bringen und Entscheidungen zu treffen.
Fast jeden Abend gehe ich jetzt tauchen. Zuerst kann ich nur fünf, sechs Minuten unten bleiben, dann muss ich wieder hoch und ohne Maske atmen. Aber ich werde mit jedem Tauchgang besser, und irgendwann gelingt es mir, unten zu bleiben, bis die Flasche komplett leer ist. Eine oder eineinhalb Stunden lang. Ich lege eine Stoppuhr auf den Boden des Beckens und versuche, allein durch Ein- und Ausatmen meine Höhe zu verändern: ausatmen, absinken und kurz vor dem Boden mit einem tiefen Lungenzug den Sinkflug stoppen. Ich probiere, mich unter Wasser ästhetisch zu bewegen, überlege mir immer wieder neue Aufgabenstellungen, um mich von dem Atemstress abzulenken. Ruhiger bin ich jetzt auf jeden Fall, vielleicht nicht ganz so majestätisch wie ein Mantarochen, aber auch nicht mehr so hektisch wie am Anfang. Ich atme gleichmäßiger, brauche viel weniger Sauerstoff, rudere weniger mit den Händen und schlage flossengleich mit den Beinen. Das Tauchen gibt mir Selbstvertrauen. Es ist mein eigener Weg, der parallel zum Konditionsweg von Pansold verläuft und doch völlig entgegengesetzt.
*
Während der drei Monate in Österreich suche ich immer wieder den Kontakt zu Art in den USA : »Wie schaut es bei euch aus? Wo stehen wir gerade? Wie läuft es?« Ich will ihm zeigen, dass mein Interesse ungebrochen ist, und möchte wissen, was los ist auf meinem Schiff. Ich weiß, dass die Tests in Brooks näher rücken, dass meine Zeit in der heimatlichen Komfortzone allmählich abläuft. Es kommt der Tag der Abschlussbesprechung – ohne Pansold. Er habe keine Zeit, sei in einem Meeting, lässt er mir ausrichten. Drei Monate lang habe ich mich in seinem Training gequält, und er kommt nicht mal zur Abschlussbesprechung. Stattdessen schickt er Martin Pfeifenberger, mit dem ich meistens trainiert habe. Und der sagt zu mir: »Gratuliere, du hast dich von sauschlecht auf schlecht gebessert.« Pansolds Abwesenheit und diese Aussage habe ich als extrem respektlos empfunden. Der nächste Augenöffner, der mir klarmacht, wie wichtig es ist, ein Gespür für sein Umfeld zu entwickeln. Man kann nicht sagen, dass mir der Abschied von Thalgau sonderlich schwerfällt.
Natürlich bin ich nach diesen drei Monaten auf dem Fahrrad längst noch nicht da, wo ich hinmuss. Ich weiß immer noch nicht, was passiert, wenn ich wieder in den Druckanzug steige. Aber es bleibt noch ein wenig Zeit: Einen Monat haben wir drüben eingeplant, um mich langsam an den Anzug zu gewöhnen. Jeden Tag ein Test, jeden Tag in die Kapsel, die komplette Prozedur, damit wir, wenn wir nach Brooks zur Air Force fahren, dort
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