Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
gemacht? Warum ist er gestorben? Warum hat sich dieser oder jener verletzt? Warum ist der Hubschrauber abgestürzt? Und oft musste ich sagen: Da wäre ich auch drauf reingefallen. Oder: Der Fehler hätte mir auch unterlaufen können. Ich profitierte sozusagen vom Lehrgeld, das andere gezahlt hatten. Man muss nicht jeden Fehler selbst machen. Das war immer eine meiner obersten Prämissen, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass ich nach 17 Jahren Extremsport noch am Leben bin.
In meiner ganzen Karriere habe ich mich nur einmal am Fuß verletzt, als mir mein Bruder eigentlich bei einem Sprung hätte helfen sollen, und ein zweites Mal, als ich mir beim Drachenfliegen den linken Oberarm gebrochen habe. In dem Arm steckt heute noch eine Platte mit zwölf Schrauben. Anders als bei dem gescheiterten Sprung mit meinem Bruder, lag der Fehler bei dem Drachenflugunglück ganz klar bei mir. Ich hatte zu der Zeit Erfahrung im Paragliding, aber ein Freund von mir flog Drachen und redete mir ein, dass ich diese Drachengeschichte auch mal ausprobieren müsse. Wir nahmen uns einen alten Schulungsdrachen, gingen auf einen Übungshang, und er sagte: »Die meisten Leute glauben, sie müssten beim Start das Gestell des Drachens drücken. Du musst aber beim Loslaufen die Nase des Drachens einfach nach unten halten, also ziehen, solange es nur irgendwie geht.« Eine Besonderheit von mir – positiv wie negativ – ist, dass ich immer alles genauso umsetze, wie man es mir erklärt, auch wenn mir mein Gefühl etwas anderes sagt. Ich lief also los, zog die Drachennase nach unten, rannte und rannte, merkte: Ich krieg keinen Auftrieb, spürte, dass es mir zu schnell wurde, stolperte, stürzte nach vorn, und das Trapez zertrümmerte mir den Arm. Ich rappelte mich auf, dachte noch: Das fängt ja gut an, und dann merkte ich auf einmal: Da stimmt was nicht mit meinem Arm. Ich konnte die Finger noch bewegen, aber mein Oberarm war komplett gebrochen. Wir waren irgendwo im Niemandsland, eine Stunde dauerte es, bis der Krankenwagen endlich kam. Mein Schockzustand ließ schnell nach, und ich bekam fürchterliche Schmerzen. Zugedröhnt mit Schmerzmitteln, wurde ich in Berchtesgaden in ein Krankenhaus eingeliefert. Ich erinnere mich noch, dass ich in meinem Dämmerzustand uralte Röntgenmaschinen, ein antikes Stethoskop und einen Holzhammer wahrnahm und dachte: O Mann, was ist denn das für ein Krankenhaus? Was ich nicht wusste: Die Geräte um mich herum waren Utensilien aus früheren Zeiten, die hier nur zur Dekoration standen.
Ich bat meinen Freund, Artur Trost anzurufen, einen Bekannten, der Hermann Maiers zertrümmerten Fuß nach dessen Motorradunfall wieder gerichtet hatte. Ich wollte nicht in diesem Mittelalterkrankenhaus operiert werden. Trost veranlasste dann sofort alles, damit ich nach Salzburg ins Hospital gebracht wurde, wo man den Arm operierte. Eine schwierige Operation, weil der Radialisnerv betroffen war, der für das Heben und Senken der Hand verantwortlich ist. Wenn der nicht mehr funktioniert, hat man eine sogenannte Fallhand. Sie haben mir mit einem Spreizer den ganzen Trizeps teilen müssen, damit sie überhaupt an die Bruchstücke meines Knochens herankamen. Eine reichlich komplizierte Angelegenheit, aus der ich eine weitere Lektion ziehen konnte: Wenn du etwas lernen willst, gehe in eine ordentliche Schule. Nur weil mein Kumpel ein guter Drachenflieger war, machte ihn das noch lange nicht zu einem guten Lehrer.
Abgesehen von diesem Unfall habe ich im Leben noch keine Knochenbrüche erlitten. Beim Motocrossfahren sind mir mal ein paar Bänder gerissen, aber sonst ist alles heil geblieben. Und schon die drei Wochen Gips waren für mich eine endlose Leidenszeit, die reinste Hölle. Wenn ich mir überlege, was die norwegische Base-Springerin Karina Hollekim durchstehen musste, deren Schirm sich 2006 bei einem Routinesprung nicht öffnete. Sie zog sich 25 Knochenbrüche zu, und nachdem die Ärzte ihre Beine zusammengeflickt hatten, mussten sie die Nähte wieder öffnen: In dem offenen Bruch hatten sich Erdreste von der Einschlagstelle abgelagert, die zu fürchterlichen Entzündungen führten. Das kann ich mir alles gar nicht vorstellen. Aber wahrscheinlich ist man in einer solchen Situation ganz anders gepolt, ist froh, wenn man mal eine Nacht durchschlafen kann.
Ich war immer ein Mensch, der extrem darunter gelitten hat, wenn er verletzt war. Das ist der Hauptgrund, warum ich so vorsichtig bin: weil ich einen Horror davor
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