Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
der ehemalige U.S.-Air-Force-Pilot, der sich im August 1960 als erster Mensch aus einer Höhe von 31 000 Metern mit einem Fallschirm in die Tiefe stürzte.
Bei einem seiner Sprünge verlor er kurzzeitig das Bewusstsein, weil er begann, sich im Fall zu drehen. Wenn man dabei eine gewisse Rotationsgeschwindigkeit überschreitet, hat das Blut nur eine Möglichkeit, den Körper zu verlassen, und sucht sich die schwächste Stelle im Körper: deine Augen. »Negativ G« heißt dies, es drückt dir das Blut in den Kopf, »positiv G« heißt, das Blut geht in die Beine. Da verträgt der Mensch relativ viel. Da wird es dann im Kopf blutleer, darum wird dir schwarz vor Augen: der sogenannte Blackout. Wird das Blut mit irrsinniger Kraft in den Kopf gepresst: der Redout, und da ist der Mensch besonders empfindlich. Wenn es noch schneller wird von der Umdrehungszahl, kann es sogar passieren, dass sich das Gehirn vom Gehirnstamm löst. Damit so etwas nicht passiert, hatte Luke Aikins, unser Skydiving Consultant, ein Gerät entwickelt: einen G-Messer, der permanent die Umdrehungsgeschwindigkeit misst. Den haben wir auf 3,6 G eingestellt. Wäre ich sechs Sekunden lang über diesem Wert, würde der Bremsfallschirm auslösen und mich aus dem sogenannten Flat Spin rausreißen. So die Theorie. Ich hänge dann am Schirm, wenn es gut geht, komme ich wieder runter, und mein Leben ist gerettet.
Als ich Joe bei unserem ersten Treffen im Jahr 2008 nach seiner Vorbereitung gefragt hatte, lautete seine Antwort: »Wir sind im Kasernenhof Runden gelaufen und fertig.« Kittinger hätte vor seinem Stratosphärensprung wahrscheinlich noch schlechtere Werte gehabt als ich.
Also sage ich eines Tages zu Pansold: »Ich verstehe dich. Aber ich teile nicht deinen Standpunkt. Was ist das Ziel? Ich mache einen Eingangstest, aber wichtiger ist doch das Ergebnis beim Ausgangstest. Wegen der Deadline für die Tests in Brooks bleibt uns nur noch wenig Zeit zum Trainieren. Was müssen wir bis dahin erreicht haben?«
Natürlich will Pansold keine Zahl festlegen. Wie auch? Ich weiß aber, dass ich trotzdem irgendwie ans Ziel kommen und die Vorgaben von Red Bull, die das Projekt ins Leben gerufen und finanziert haben, erfüllen muss. Und wenn es dann nicht funktioniert, habe ich immerhin alles versucht.
Ich komme in der Früh um neun, ich mache genau das, was Bernd Pansold mir vorschreibt. Jeden Tag werde ich einem Laktattest unterzogen! Laktat, ein Milchsäurebestandteil, wird bei anaeroben Muskelaktivitäten in das Blut abgegeben. Mit wachsendem Leistungsniveau steigt der Laktatgehalt im Blut an. Diesen Anstieg zeichnet man während einer Trainingsphase auf, wofür am Ende einer Leistungsstufe Blut entnommen wird. Meistens am Ohrläppchen. Die Ohren tun mir schon weh vom täglichen Stechen. Vormittags Radfahren, nachmittags Mentaltraining oder umgekehrt. Das ist extrem anstrengend. Ich verliere sehr viel Gewicht. Aber es ist auch gut zu wissen: Wenn ich muss, kann ich mich wie ein Ausdauersportler quälen. Gut für das Selbstvertrauen. Ich weiß jetzt: Egal, welche Aufgabe es im Leben gibt, ich kann mich darauf einstellen.
Der Alltag im Trainingsraum ist eintönig. Neben mir schwitzen ein Fußballtorwart, eine Karatekämpferin, ein Wasserskifahrer und ein Inlineskater – und alle machen dasselbe: strampeln. So unterschiedliche Sportler, so grundverschiedene Persönlichkeiten: Den Torwart haben sie zusammengetreten, die Karatekämpferin bereitet sich auf einen Wettkampf vor, der Wasserskifahrer hatte ein gebrochenes Bein, das schlecht verheilt ist, und der Inlineskater hat Ausdauerprobleme. Und alle bekommen augenscheinlich das gleiche Programm, mit minimalen Unterschieden.
Auch der psychologische Teil des Trainings ist für mich nur wenig motivierend. Meine Betreuerin ist um die 20 Jahre alt. Ich will der Jugend nichts Schlechtes nachsagen, aber mit Anfang 20 kommt man gerade mal von der Uni, hat das Studium abgeschlossen – und null Erfahrung mit internationalen Athleten, die auf einem sehr hohen Level performen müssen. Sie macht ihre Übungen genau nach Lehrbuch, schließt mich an ein Gerät an, mit dem sie meine Gehirnströme misst, vermittelt Entspannungstechniken und berieselt mich mit sanfter Musik. Natürlich ist es wichtig, dass ich mich entspanne. Aber ich bin skeptisch, ob das reichen wird, um mein Anzugproblem zu lösen. Wir führen künstliche Gespräche, streng nach Plan. Ich werde das Gefühl nicht los, dass keines unserer Gespräche mich
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