Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
anderer Chef auf der ganzen Welt! Und das morgens um sechs! Das ist genau das, was ich jetzt brauche: einer, der den Druck rausnimmt, einer, der mir Luft zum Atmen lässt. Endlich Luft.
In der Schalterhalle des International Airport von Los Angeles wird mir klar: Manche Dinge im Leben kannst du nicht erzwingen. Manchmal braucht es den Mut, zu sagen: Okay, jetzt nehmen wir das Gas raus, und das, was wir jetzt verlieren, holen wir später wieder auf. Je mehr Druck du machst, desto schlimmer wird es. Druck erzeugt Gegendruck, das steht fest.
Art hat diesen Zusammenhang erkannt und baut mir sogar eine Brücke: »Wir können das Ganze auch abblasen, Felix. Wir können sagen: Der Arzt hat dich gecheckt und Herzrhythmusstörungen entdeckt. Du hast halt einfach Probleme mit dem Herzen, von denen vorher niemand wusste.«
» Thanks for the offer, but no, thanks . Das ist für mich keine Option. Wenn das jetzt meine Grenze ist, dann habe ich sie eben erreicht. Dann war es halt dieser blöde Anzug. Aber nie im Leben erzähle ich irgendeine Geschichte mit Herzproblemen, um da wieder rauszukommen.«
Ich hoffte, dass man mich verstehen würde. Okay, bis hierher und nicht weiter. Er hat seine Grenzen gesucht, jetzt hat er sie gefunden. Und es war nicht das, was wir alle geglaubt haben. Es war nicht die tiefste Höhle oder der höchste Sprung. Es war nicht der Überschall. Es war der Anzug.
Als ich als Nächstes Christopher Reindl bei Red Bull in Salzburg anrufe und meine Geschichte erzähle, sagt mein Ansprechpartner bei Red Bull für das Stratos-Projekt: »Komm nach Hause. Dann reden wir über alles.« Bevor ich in die Maschine Richtung Österreich steige, sage ich zu Art und Richard: » See you, guys. Bis irgendwann!«
»Are you coming back?« Ich weiß es nicht.
*
Elf Stunden lang sitze ich im Flieger, eine Boeing 747, elf Stunden Zeit, mich zu sortieren. Elf Stunden Ruhe. Ich sehe die Welt wieder von oben und weiß: Ich muss jetzt erst einmal nicht mehr in den Druckanzug rein. Das ist das Wichtigste. Ein großer Stressfaktor ist weg. Ich habe lediglich eine Prüfung absagen müssen, sonst nichts. Gott sei Dank! Und je näher ich meiner Heimat komme, desto besser wird meine Stimmung. Ich weiß: Da ist meine Familie, da sind meine Freunde und vor allem meine Freundin Nicole. Schon über dem Atlantik schlägt mein Stimmungsbarometer um: von »Das ist vorbei, ich schaffe es nicht!« zu »Jetzt schauen wir mal, ob es nicht doch eine Lösung gibt«. Als ich in Salzburg lande, bin ich schon raus aus dem Fluchtmodus und wieder voll auf Mission: Was kann ich unternehmen? Stratos weg, Springen weg, Anzug weg: Wie bekomme ich meinen Kopf wieder in die richtige Richtung gedreht? Jetzt muss es erst mal nur um mich gehen, nicht um Medien und Marketing, nicht um Entwicklungen und Tests. Jetzt geht es um den Kopf von Felix Baumgartner, um den Menschen selbst.
Ich bin ein Wettkämpfer. Einer, der die sportliche Herausforderung kennt und liebt. Doch jetzt war die Herausforderung keine sportliche, sondern eine mentale: Wie komme ich aus meinem Anzugproblem raus? Im Prinzip gehe ich das Problem ähnlich an wie mein Vater den Besuch bei einem Elektronikfachhändler, bei dem er etwas reklamieren will. Ich nehme mir vor, dass ich mit dem rauskomme, womit ich rauskommen will. Ich will mein Anzugproblem lösen und am Ende als Sieger dastehen, mit der neuen Kaffeemaschine.
In Salzburg holt mich Christopher vom Flughafen ab. Wir setzen uns in das Café des Hangar 7, jenes Kunstwerks aus Glas und Stahl, das Red Bull in Salzburg gebaut hat.
»Wie geht es dir jetzt? Willst du weitermachen?«, fragt Christopher mich, die Situation analysierend. »Es liegt an dir. Wir haben zwar viel Zeit und Geld investiert, aber das ist nicht so wichtig. Wenn du es nicht machen kannst, kannst du es nicht machen. Du musst signalisieren, dass du zu hundert Prozent fit und stark bist, sonst lassen wir es. Schließlich stehen der Name Red Bull und eine Menge Reputation dahinter.« Ich versichere ihm, dass ich auf alle Fälle weitermachen will, dass ich nur meinen Kopf freibekommen muss. Allerdings hätte ich keine Ahnung, wie das zu schaffen sei. Doch Christopher ist schon aktiv gewesen, während ich noch im Flugzeug saß. Er hat Kontakt mit Bernd Pansold aufgenommen, dem obersten Leistungsdiagnostiker aller Red-Bull-Athleten. Er ist der Chef des DTC , des »Diagnostics & Training Center« in Thalgau, das Dietrich Mateschitz für die Red-Bull-Athleten hat bauen
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