Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
mir gearbeitet. Alle Daumen zeigen nach unten. Wörtlich hätten sie gesagt: »Dass er in vier Wochen so weit kommt, es fünf Stunden lang im Anzug auszuhalten? Nie im Leben.«
»Du musst irgendwie dein Leadership wieder zurückbekommen«, rät Andy mir. »Ganz egal, wie du das anstellst. Die brauchen einen, an den sie glauben können, und das kannst nur du sein. Du bist der Athlet, du hast als Fallschirmspringer und Base-Jumper das Know-how. Sportlich bist du immer noch der, zu dem sie aufschauen. Ich kann dir noch nicht sagen, wie du das am besten machst. Aber jetzt geh und regle mit den Jungs, wie ihr die nächsten vier Wochen gestalten wollt.«
Ich gehe also rein in unseren Besprechungsraum und weiß, jetzt gibt es nur noch einen Ausweg: Ich muss vor den Schlüsselfiguren des Projekts die Hosen runterlassen. Alle sitzen sie da, Joe Kittinger, Art Thompson, die Techniker, Mike Todd, der Anzugingenieur – in einer Reihe auf der einen Seite des Besprechungstischs. Auf der anderen Seite, auf meiner Seite, stehen acht freie Stühle. Selbst Mike, den ich eigentlich für einen bedingungslosen Freund gehalten habe, sitzt auf der anderen Seite. Weil er ein Profi ist und sich denkt, es geht hier nicht um Befindlichkeiten. Er ist derjenige, der mir den Anzug anzieht, und er will nicht derjenige sein, der mich tot wieder rausholen muss, nur weil ich mich nicht anständig vorbereitet habe.
Diese demonstrative Tischfront gegen mich ist eine herbe Enttäuschung. In den vergangenen drei Jahren habe ich nur ein einziges Mal Schwäche gezeigt, nur einmal konnte ich etwas nicht. Und das Problem mit dem Anzug habe ich noch nicht einmal selbst verursacht, es war einfach da. So, wie ein anderer Höhenangst bekommt, ohne dass man ihm daran wirklich die Schuld geben kann.
Drei Monate lang habe ich in Österreich gegen mein Problem angekämpft, habe hart daran gearbeitet. Was ich nicht wusste: Mein Team hatte in dieser Zeit das Gefühl, Tag und Nacht an dem Projekt zu arbeiten, während ich mir zu Hause ein laues Leben mache. Jetzt komme ich zurück und erwarte, dass sie meine Situation verstehen. Genau diesen Unmut haben sie mir signalisiert, indem sie sich bewusst oder unbewusst auf die andere Seite des Tisches gesetzt haben. Ich stehe vor einem Tribunal und versuche, mich zu rechtfertigen.
»Jungs, ich mache in den nächsten vier Wochen alles, was es braucht, damit dieses Projekt weitergeht. Ich bitte euch nur um zwei Dinge: Wir beginnen nicht vor neun Uhr morgens, und ich bekomme jeden Tag eine Stunde Mittagspause mit einem ordentlichen Essen, nicht dem Fast Food, das ihr hier immer ordert. Der Rest ist mir egal.« Und was passiert? Sie willigen tatsächlich einer nach dem anderen ein und geben mir eine zweite Chance. Mike Gervais meldet sich zu Wort: »Vorausgesetzt, das Team stimmt zu, fangen wir mal damit an: nur den Helm aufsetzen, Felix. Der Anzug ist dann später noch Stress genug. Wir widmen uns erst einmal nur diesem Teil der Dinge, die für dich negativ besetzt sind: dem Helm.« Und schon ist Mike fest drin im Team. Und ich mit ihm.
Risiko? Nein, danke! – Wie ich Base-Springer wurde
Das Thema Sicherheit begleitet mich schon mein ganzes Leben. Ich war zwar immer ein Draufgänger, aber einer mit einem extremen Hang zur Sicherheit. Ich bin schon als Kind nie per Kopfsprung in einen See, ohne vorher zu checken, wie tief das Wasser ist oder ob es Felsen darin gibt.
Beim Base-Springen gibt es unterschiedliche Risikofaktoren, und man muss schauen, wie man die einzelnen Aspekte und die damit verbundenen Gefahren in den Griff bekommen kann. Ich wollte mich nie vom Glück abhängig machen, sondern eher auf meine Skills vertrauen, mich gut vorbereiten, mir das nötige Können aneignen.
Natürlich ist es immer riskant, irgendwo runterzuspringen, den sicheren Boden zu verlassen. Aber letztlich tue ich davor nichts anderes als jemand, der in ein Flugzeug steigt. Ich bewerte die Risiken. Wenn jedes Jahr eine Maschine der Airline abgestürzt wäre, weil die Wartung schlecht oder die Piloten übermüdet wären, würde jeder normale Mensch sagen: »Schatz, lass uns lieber eine andere Fluggesellschaft nehmen.«
Das verbindet uns alle: Man will nicht zu viel riskieren, will sich nicht wehtun. Meine Geschichte findet auf einem höheren Risikoniveau statt, aber unter den gleichen Gesichtspunkten. Ich habe dabei immer versucht, aus Fehlern anderer zu lernen. Ich habe viele Unfallberichte gelesen, um zu sehen: Was hat der falsch
Weitere Kostenlose Bücher