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Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Titel: Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Baumgartner
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in der anderen, der Mann, der mir das Base-Springen, eine der gefährlichsten Sportarten der Welt, beibringen sollte. Aber egal, mal sehen, wie er so drauf war. Wir tranken das nächste Bier zusammen, rauchten eine Zigarette und kamen ins Gespräch. Er erzählte mir von Jason Rooney, einem Australier, der total verrückte Sachen gemacht hat: Jason ist von der Sydney Harbour Bridge und von Hoteldächern gesprungen, mit dem Base-Schirm auf dem Bauch statt auf dem Rücken. Sachen, die ich nur mit einem »Wow!« nach dem anderen kommentierte. Dann sagte Tracy drei Wörter, die sich in mein Gedächtnis einbrannten:
    »Er ist tot.«
    Was war passiert? Vor dem Sprung checken alle Base-Sprung-Profis den Wind. Rooney tat das, indem er Papierbällchen fallen ließ, trug dabei aber noch keinen Fallschirm. Er verlor das Gleichgewicht, kippte vornüber und stürzte 130 Meter tief in den Tod. »So was passiert gar nicht selten«, sagte Tracy. Unprofessionelle Coolness. Er wollte cool sein, jetzt ist er tot – weil er nicht cool, sondern ein Trottel war. Diese Geschichte war für mich genau die richtige Impfung: immer aufpassen, immer nachdenken. Der Typ hatte schon 70 Sprünge gemacht, war mit einem Surfboard gesprungen, hatte zig Salti im freien Fall geschlagen – und starb bei einem banalen Windcheck, weil er seinen dämlichen Schirm nicht trug.
    Als Nächstes fragte Tracy mich: »Was möchtest du machen?«
    »Ein guter Base-Springer werden«, antwortete ich, ohne zu wissen, was das genau bedeutete.
    »Wenn du Base-Springer wirst, musst du dich darauf einstellen, dass du deinen Job, dein Geld und deine Freundin verlierst.«
    Was für ein alberner Spruch!, dachte ich mir. Aber er sollte recht behalten. Nach dem verunglückten Sprung mit meinem Bruder, bei dem er meinen Hilfsschirm zu früh losließ und ich wie durch ein Wunder überlebte, habe ich meinen Job verloren, keine Kohle mehr gehabt, und wenig später war dann auch die Freundin weg – und Tracy hat es gewusst, dieser Hund.
    Wir fingen mit der Ausbildung an. »Du musst eines wissen, das wichtiger ist als alles andere«, erklärte Tracy: »Wie man einen Fallschirm packt.«
    Und dann ließ er mich packen, packen und noch mal packen. Er hat den Schirm in seiner kleinen Wohnung ausgelegt und ihn mich viele Male einpacken lassen, ohne dass ich auch nur in die gedankliche Nähe eines ersten Base-Sprungs gekommen wäre.
    Da ich schon Fallschirmspringer war, fing ich beim Packen nicht bei null an. Ein paar Nuancen sind beim Base-Schirm anders, das war mir nach drei, vier Packversuchen hinlänglich klar. Doch Tracy sagte: »Jetzt packen wir noch mal.«
    »Hey, ich kann’s doch schon.«
    Aber er ließ sich nicht beirren: »Aufmachen! Neu packen!«
    Ich fing an, musste dann kurz auf die Toilette und packte weiter.
    »Würdest du mit diesem Fallschirm springen?«, fragte mich Tracy, als ich fertig gepackt hatte.
    »Na klar!«
    »Sicher?«
    »Ich habe ihn selbst gepackt und bin mir hundert Prozent sicher.«
    »Gratuliere, du bist tot.«
    Während ich auf der Toilette war, hatte er zwei Schnüre verdreht, was ich beim letzten Check eigentlich hätte sehen müssen. Aber ich hatte gedacht: Wo vorher nichts war, verdreht sich auch von selbst nichts. Man geht ja nicht davon aus, dass jemand sich an deinem Schirm zu schaffen macht. Aber Tracy hatte wieder mal recht: Es kann so viel passieren: Jemand will dich ärgern, ein Kind spielt mit deinem Schirm, ein Hund knabbert dran herum und zieht die Leine raus. Tracys Lehre war: »Immer checken, Junge! Geh nicht davon aus, dass es passt, nur weil du es nicht verändert hast. Schauen, schauen, schauen! Je länger du vorsichtig bist, je länger du die Sachen kontrollierst, desto länger lebst du.«
    Ich bin sehr dankbar, dass ich genau diesen Typen kennengelernt habe, der mir im richtigen Moment die richtigen Lektionen erteilt hat. Und was lernen wir daraus: Man kann auch bei einem Joint rauchenden, Bier trinkenden, superlustigen Vogel zum Base-Springer heranwachsen. Und wenn man selbst schon einen Hang zur Genauigkeit hat, und dein Lehrer ist noch genauer, dann geht die Reise zumindest in die richtige Richtung.
    Wo ich meinen ersten Base-Sprung machen würde? Ich hatte keine Ahnung. Doch Tracy wusste natürlich auch das: beim Bridge Day, der inoffiziellen Weltmeisterschaft der Base-Jumper in West Virginia. Seit 1980 treffen sich dort die besten Base-Jumper am dritten Sonntag im Oktober auf der New River Gorge Bridge. Der Tag erinnert an die

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