Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
bisschen dunkler wurde, die Erdkrümmung war allmählich sichtbar. Mit unserer Kameratechnik und dem von uns installierten Funksignal bekamen wir die Bilder aus der Stratosphäre auf unseren Bildschirm herunter, ohne die NASA . Für uns war das, wie die ersten Bilder vom Mond zu empfangen, unsere persönliche Mondlandung sozusagen. Und Art spürte nach all diesen Jahren der Ups und Downs und des Geprügeltwerdens mal wieder Selbstvertrauen und sagte: »Jungs, es sieht gut aus. Es hat zwar länger gedauert und mehr gekostet, das gebe ich zu. Aber das Ding ist oben!« Das hat er dringend gebraucht. Das war wie ein Schluck Wasser in der Wüste, eine willkommene Selbstbestätigung nach all dem, was passiert war.
Das Stratos-Projekt beinhaltete von Beginn an alles, was es gibt an Emotionen, Strategien, Lügengeschichten, Gerichtsverhandlungen, Kündigungen, geschäftlichen Desastern. So gesehen waren wir schnell unterwegs. Fünf Jahre sind nichts, um all diese Hürden zu bewältigen. Und in drei Jahren viermal einen Ballon zu launchen, inklusive der Vorbereitung und technischen Entwicklung, das ist eigentlich Rekordzeit. Nur, während du das machst, siehst du das nicht so, sondern denkst: O Mann, nicht das auch noch, bitte nicht! Wenn es dann vorbei ist und alle gute Laune haben, ist alles vergessen. Dann erinnert man sich nur an die guten Sachen und sagt: »Eigentlich war’s ja cool.« Was die Menschen schließlich auf den Fernseh- und Computerbildschirmen sehen würden, das würde nur ein kleiner Ausschnitt sein, ein Blick durchs Schlüsselloch.
Auf der Zielgeraden:
Der Tag X rückt näher
Um zwei Uhr in der Nacht soll es losgehen. Irgendwann, eines fernen Tages, wenn alle Probleme behoben sind, wenn ich endlich abheben kann. Das Team wird dann schon um acht Uhr am Vorabend in der Mission Control mit den letzten Vorbereitungen begonnen haben, und um zwei in der Nacht wird Helmut an meine Tür klopfen und mich abholen für meinen Ausflug in Sachen Überschall.
Doch bis dahin ist es noch ein Stück Weg. Längst könnte ich mich in jeder Firma dieser Welt als Experte für Troubleshooting bewerben. »Sie haben ein Problem? Mit Problemen kenne ich mich aus.« Ein bisschen wie Harvey Keitel in »Pulp Fiction«: »Mein Name ist Winston Wolf. Ich löse Probleme.« Im Rückblick bestand das Projekt Stratos zu gefühlten 104 Prozent aus Troubleshooting. Einmal ist uns sogar mitten in der Wüste von New Mexico der Kran, an dem die Kapsel hing, eingefroren. Der Arm des Krans ließ sich eines Morgens nicht mehr bewegen. Einfach so. Irgendwo muss in der Nacht Feuchtigkeit in die Krangelenke geraten sein, und dann ist er festgefroren. Das war uns vorher noch nicht passiert. Und jetzt? Heißes Wasser? Flammenwerfer? Eine Dreiviertelstunde haben wir rumgetan, um diesen blöden Kran wieder in Gang zu bekommen. Alle waren schon wieder im Stress – das will man nicht haben. Nicht schon wieder. »Hey, Jungs, wir müssen Gas geben! Wir müssen eine Stunde aufholen. Sonst kommt der Wind!« Und dann wäre nämlich alles wieder vorbei gewesen, und wir hätten umsonst gearbeitet, mal wieder.
So ging das ständig. Schon der erste unbemannte Launch-Versuch funktionierte nicht: zu viel Wind. Bei einer Windgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern fährst du mit dem Truck, der die Kapsel beim Abheben genau unter den Ballon bringen muss, noch bis zum Pazifik hinter dem Ballon her. Der Truck fährt nämlich nur 20 Stundenkilometer. Oder der Wind dreht, und du musst diagonal über den Runway fahren. Das geht 200 Meter weit, dann beginnt die Wüste. Wir haben probiert, mit dem Truck im Wüstensand zu fahren: keine gute Idee. Der Launch unseres zweiten unbemannten Ballons drohte fast zu scheitern, weil sich aufgrund eines Temperatursturzes ein dünner Eisfilm auf der Ballonhülle gebildet hatte und er dadurch in ein unkontrolliertes Sinken geriet. Ein anderes Mal hatten wir eine Heuschreckenplage – ja, man glaubt es kaum, wie im Alten Testament. Alles sah gut aus: Temperatur, Wind, Wetter, alles bestens. In der Nacht drehten wir einen riesigen Scheinwerfer auf, um Licht zum Arbeiten zu haben. Innerhalb von 15 Minuten war der Runway knöchelhoch voll von Heuschrecken. Kratsch , kratsch machte es beim Gehen, als wären wir auf einer brüchigen Eisschicht gelaufen. Wir mussten die komplette Kapsel mit Periskopen durchleuchten, ob Heuschrecken drin waren, alle Löcher, jede Ritze. Ein blöder Heuschreckenflügel zwischen zwei Drähten hätte ja einen
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