Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
»Jetzt müssen wir Gas geben. Da hat schon wieder einer einen Startversuch geplant.« Aber ich habe mir das angeschaut – die Ausrüstung, das Team, den Anzug, den Support – und habe gewusst: Das kann nicht funktionieren. Und wenn er abhebt vom Boden, kommt er wahrscheinlich nicht lebend zurück. Abheben ist eine Geschichte, aber du musst zuerst mal Überschall fliegen und überleben – das ist ein völlig anderes Paar Schuhe.
Joe war für unser Team der Profi, der all diese Dinge mit Verstand, Erfahrung und Augenmaß einschätzen konnte. Zum ersten Mal sind wir uns am 16. August 2008 in Florida begegnet, bei einem Meeting mit der Fallschirmfirma Strong Enterprise. An der Hotelbar stellten wir fest, dass ausgerechnet an diesem Tag der 48. Jahrestag seines Sprungs war. Er sagte zu mir: »Ob das jetzt Zufall ist?« Ich meinte: »Joe, das müssen wir feiern!« Das Eis war gebrochen, ein guter Einstand. Wir haben gemütlich eine Flasche Wein getrunken und uns auf Anhieb gut verstanden. Ich glaube, dazu trug auch der große Altersunterschied bei. Wäre Joe nur drei, vier Jahre älter gewesen, wäre zu viel Ego im Spiel gewesen. So konnte er vielleicht etwas leichter loslassen: Hey, ich bin jetzt 80 und habe 50 Jahre lang diesen Rekord gehabt. Es ist Zeit für einen neuen Rekord, um zu sehen, was technisch und wissenschaftlich heute und in Zukunft möglich ist – und ich kann dem Team dabei helfen, man braucht mich. Diesen Spirit hat er von Anfang an versprüht. Er stand mit hundertprozentigem Einsatz hinter der Sache. Nach und nach kamen nun die richtigen Leute dazu. Es war aber immens schwierig, die Richtigen von den Falschen zu unterscheiden. Zum Glück konnte ich mich hier meistens auf mein Gefühl verlassen und habe mich nur selten getäuscht. Und dann geschah es ausgerechnet bei einem – bei Art.
Bei unserem Projektleiter lag ich daneben, in gewisser Weise. Mir war von vornherein klar, dass es sehr schwierig werden würde, jemanden zu finden, der die fünf, sechs nötigen Grundeigenschaften besaß, um ein solch gigantisches Projekt zu leiten. Wenn er nur vier davon hatte, war er eh schon gut, aber alle Skills würde wohl niemand mitbringen. Was Art fehlte, war gute Menschenkenntnis und die Fähigkeit, Missstände zu erkennen und im Notfall rechtzeitig das Ruder rumzureißen. Er ließ manches aufgrund seines großen Vertrauens in einen jeden ewig schleifen, und erst wenn es gar nicht mehr ging, wurde über das Problem gesprochen. Oft habe ich mit ihm gestritten und zu ihm gesagt: »Art, dieser Mitarbeiter ist nicht gut für uns. Ich sehe seinen Arbeitsplatz, sehe den Sauhaufen, den er dort hat. Das geht in so einem technischen Beruf nicht, dass da alle Kabel wirr rumliegen. Der muss da Ordnung drinhaben, strukturiert sein. Einem kreativen Menschen gestehe ich das zu. Der muss andere Fähigkeiten haben. Aber jemand, der technisch arbeitet: nein! Wenn ich mir nur die Karre von dem anschaue: ein altes Mazda-Cabrio, teilweise mit Holz geflickt, damit das Dach nicht runterkommt, mit Silikon abgedichtet, ein einziger Sauhaufen. Und der Typ baut an einem Teil rum, von dem mein Leben abhängt! Sorry, Art, aber da habe ich kein gutes Gefühl!«
Ich habe Art lange beobachtet. Mein Problem war: Er war ein Freund. Er hat mir geholfen, dieses Projekt überhaupt erst auf den Weg zu bringen, war der Erste, den ich angesprochen habe, weil ich niemand anderen kannte, der für diese Herkulesaufgabe infrage kam. Auf der anderen Seite war aber ohnehin ich der inoffizielle Projektleiter. Derjenige, der das Team zusammenhielt, der die Firma Red Bull vertrat. Und ich musste auch mein eigenes Leben im Blick behalten, weil ich derjenige war, der dort oben, völlig auf sich allein gestellt, Fehler mit dem Leben bezahlt.
Eine Vielzahl seltsamer Personalentscheidungen mündeten schließlich in der Entmachtung von Art. In manchen Dingen war er ja gut, aber allzu oft drückte er beide Augen zu und sagte über Mitarbeiter, die ich sofort gefeuert hätte: »Na ja, der hat gerade ein Kind bekommen und ein Haus gekauft. Der braucht die Kohle, den können wir jetzt nicht einfach vor die Tür setzen.« Für einen nüchternen Projektleiter, der in erster Linie rational handeln musste, war Art einfach ein zu großer Menschenfreund.
Ein anderes Beispiel: Ein Schweißer stellte sich bei uns vor. Es ging um den Stahlrahmen für die Kugel, in der ich drinsitzen und die später noch verkleidet und isoliert werden sollte. Diese Kugel wurde gehalten
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