Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
die Nummer eins.
Doch dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Alle Mitarbeiter von Art solidarisierten sich mit ihm und ließen Pat, den neuen Projektleiter, am langen Arm verhungern. Pat saß in seinem Büro, bekam keine Informationen – und warf schon nach kurzer Zeit wieder das Handtuch. Frustriert sagte er: »Ich komme mir vor wie das unwillkommene Stiefkind. Das ist Folter. Ich kündige, ich sehe in diesem Projekt keine Zukunft und streiche die Segel.« So wurde Art wieder Projektleiter, und es war alles beim Alten. Nun ja, fast: Von Red Bull stieß Helmut Wahl zum Team, der Direktor of Motorsport, Marketing USA , ein Deutscher, den wir Art zur Seite stellten und der deutsche Pünktlichkeit und Strategie mitbrachte. Er hat sofort gut mit Art harmoniert und zu ihm gesagt: »Ich bin da, um dir zu helfen. Das, was du nicht kannst, mache ich. Ich bin kein Feind, ich bin dein Freund.«
Und Helmuts Anwesenheit sollte sich gleich positiv auswirken, als es um die Windkarten ging, die für den Erfolg unserer Mission entscheidend waren: riesige Charts, die zeigten, dass es in Roswell wettertechnisch nur wenige gute Monate für unser Vorhaben geben würde. Im Januar und Februar gab es nur drei oder vier Tage ohne Wind, erst im April oder Mai sollte ein Start möglich sein. Realistisch betrachtet kann man nur alle zwei bis drei Monate etwas launchen, weil der Start ja vorbereitet werden muss. Die Kapsel könnte beschädigt werden. Das alles kostet Zeit. Wir hatten zwei unbemannte Launches, zwei bemannte und dann noch den großen finalen Sprung. Das bedeutete, vier Launches ab April oder Mai, und dann war das Jahr auch schon zu Ende. Das war die Aussage von Art. Helmut druckte sich diese Windcharts groß aus, nagelte sie sich an die Wand, schaute jeden Tag drauf und sagte irgendwann: »Im Januar haben wir drei Tage. Da würde es gehen.« Eigentlich brauchte man eh nur einen windarmen Tag. In der Tat konnten wir dann einen Ballon launchen und hätten somit schon im Januar die nötigen Werte eingesammelt – und zwei Monate gespart. Folglich könnten wir schon im Februar Gas geben, den zweiten Launch im April machen und die übrigen bis Juli und dann ab August bis spätestens Oktober den letzten großen Sprung. Und genau so ist es dann passiert – dank der deutschen Gründlichkeit von Helmut.
Aus einem wirklich harten Holz war auch Ed Coca geschnitzt, unser Launch Director. Kurz vor meinem zweiten Sprung aus 30 Kilometern Höhe war sein Vater gestorben. Er kam direkt von der Beerdigung zu unserem Launch und machte seinen Job. Ich saß in der Kapsel und dachte mir: Wahnsinn! Ed war der wichtigste Mann auf den ersten 1500 Metern. Wenn da irgendwas schieflief, ging der Fallschirm der Kapsel nicht auf, und ich konnte nicht rausspringen. Ich dachte: Wenn Ed jetzt nicht bei der Sache ist! Ich kann’s ihm ja nicht mal verdenken. Schließlich hat er gerade eben seinen Vater begraben. Es lief jedoch alles glatt, und später sagte Ed zu mir: » Isn’t it ironic, yesterday I sent somebody down, and today I will send somebody up. «
Ed war halt ein echter Profi – und Art ging schon in die Knie, wenn einer bloß sagte: »Ich hab gerade ein Haus gekauft, ich brauche die Kohle.« Aber Art hatte dafür eine unglaubliche Leistungsbereitschaft, oft war er der last man standing . Egal, was zwischen uns vorgefallen ist: Art hat gearbeitet, seinen Mann gestanden, war in der Früh der Erste und in der Nacht der Letzte. Bei ihm sieht man auf den Fotos und Videos auch die stärkste Veränderung während des Stratos-Projekts: Er ist richtig grau geworden, keine Spur mehr von den dunklen Haaren.
Erst zum Schluss hin hat er wieder richtig gewonnen, hat sich einen Bart wachsen lassen, der gut zu ihm passte. Man hat auch gemerkt, wie er aufblühte, als sich der Erfolg einstellte. Als zum ersten Mal die unbemannte Kapsel abgehoben ist, war das ein Highlight für uns alle! Fünf Jahre hatten wir darauf hingearbeitet, aber das Ding stand immer am Boden. Wie oft haben wir davon geredet und geträumt, dass die Kapsel endlich abhebt. Und dann standen wir da im Dezember 2011 beim Unmanned Test I in Roswell, bei 4 Grad minus um fünf Uhr in der Früh, und dieses Ding klinkte aus dem Kranhaken aus und hob ab, schwebte majestätisch – da hatten wir alle feuchte Augen. Diese Kapsel, die wir fünf Jahre lang gehütet und behütet hatten, ging jetzt into space . In der Mission Control sahen wir nach einer Stunde, wie der Horizont schon ein
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