Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
beide können kaum ein Wort Englisch, trotzdem mag jeder die beiden auf Anhieb. Mein Vater kommt irgendwann zu mir und erzählt, dass er gerade im Büro des Militärgenerals in Roswell gewesen sei. Ich frage: »Wie kommst denn du zum Militärgeneral ins Office? Du kannst ja nicht mal Englisch!« Vater daraufhin nur trocken, er habe jemanden aus Deutschland getroffen, und der habe für ihn übersetzt. Ich denke mir: Mein Vater! Der kommt einfach überallhin.
Auch mein Bruder Gerald ist stolz, dass er mit dabei sein kann. Er ist ja Koch und zaubert für uns abends ein bisschen Barbecue am Pool. Tagsüber geht er mit meiner Mutter einkaufen. Die hat ihr »System Mama« einfach von Österreich nach Amerika verlegt: Senf wird gekauft, Fleisch, Gewürze, Saucen. Sie ist das erste Mal in den USA und übernimmt gleich mal den Küchenherd. Das finde ich cool. Sie sitzt da und redet und redet, genau wie zu Hause immer – nur, dass wir jetzt eben in Roswell sind. Dieses Vertraute ist ungemein wichtig für den Kopf. Das braucht man einfach in den Momenten, in denen man auf einem sehr hohen Level performen muss.
Dass dann der erste Launch-Termin wegen des Windes abgesagt werden muss, ist gar nicht mehr so schlimm. Natürlich bin ich erst mal enttäuscht, weil ich gedacht habe: Hey, in drei Stunden ist alles vorbei, und dann bin ich am Ziel meiner Reise angekommen. Und jetzt wird die Sache verschoben, und ich muss das noch mal mitmachen! Aber letztlich ist es für mich ein ideales letztes Training, einen realeren Test konnte ich schließlich nicht machen. In dem Moment, wo du das machst, glaubst du daran, dass du heute springst. Das heißt, du hast diese Anspannung – die körperliche und die mentale: Gleich geht es los! Die ganze Welt schaut zu! Das haben wir ja auch noch nicht gehabt, wir waren immer nur unsere eigenen Zuschauer. Und wenn du dann doch nicht abhebst, hast du trotzdem diese körperliche Anspannung gehabt, weil du ja zu dem Zeitpunkt davon ausgegangen bist, dass es funktioniert.
Und dann, vier Tage später, wiederholen sich die gleichen Abläufe. Du hast das schon einmal erlebt. Du weißt, du kannst es, weißt, wie es dir in der Früh geht, wie es sich anfühlt, wenn so viele Leute zuschauen, wenn die Eltern zuschauen. Du weißt, dass du dir keinen Kopf machen musst, weil du in der letzten Nacht natürlich kein Auge zugetan hast. Und du weißt: Es wird jetzt bald passieren. Sehr bald sogar.
Going home – der Himmelssturm
Don Day, unser Mann fürs Wetter, ist schon immer sehr präzise mit seinen Vorhersagen gewesen. Wenn er gesagt hat: »Am Mittwoch schaut es gut aus«, dann sah es am Mittwoch auch gut aus. Am Tag vor dem Sprung basiert seine Einschätzung der Wetterlage jeweils zu 50 Prozent auf den Daten und auf seinem Bauchgefühl. Wie im Kasino: rot oder schwarz. Die Entscheidung, ob der wichtigste Tag in meinem Leben an diesem 14. Oktober 2012 über die Bühne gehen soll, hängt zu 50 Prozent vom Bauchgefühl eines Wissenschaftlers ab.
Aber ich vertraue Don. Wenn wir in der Vergangenheit Probleme mit dem Wind gehabt haben, dann nicht, weil er uns eine falsche Information gegeben hat, sondern weil wir aus dem Zeitfenster herausgeraten sind. So geschehen beim Abbruch vier Tage vor dem 14. Oktober. Da hatten wir auch gewusst, wann der Wind kommt. Was wir nicht wussten, war, dass der große Kühlschlauch, der in meine Kapsel hineinragte, um sie bei aufgehender Sonne zu kühlen, ständig auf den Funkknopf gedrückt hatte. Ich war ständig auf Senden, wodurch das Funkgerät irgendwann so heiß wurde, dass es sich abschaltete. Eine halbe Stunde haben wir an der Fehlersuche rumhantiert, bis wir draufgekommen sind – und schon waren wir aus dem Zeitfenster. Dann kam der Wind und machte uns einen Strich durch die Rechnung. Dafür konnte Don Day aber nichts. Seine Fifty-fifty-Prognose ist zu 100 Prozent eingetreten.
Von Don aus kann es also heute tatsächlich losgehen. Logisch, dass ich in der Nacht davor kein Auge zubekomme. Wobei die Gründe vielfältiger sind als gedacht. Andy hatte mir versichert, dass kein Mensch vor einem solchen Tag ruhig schlafen könne. Hinzu kommt noch eine Poolparty vor meinem Fenster. Eine mexikanische Familie hat sich am Abend dort niedergelassen. Und die Abende beginnen bei den Mexikanern in der Gegend generell eher spät und ziehen sich gern ein wenig in die Länge. Dass sie nicht komplett geräuschlos ablaufen, muss wohl nicht eigens erwähnt werden. An Schlaf ist allein schon
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