Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
funktioniert durch Luftdruck. Da gibt es kein Signal-Jamming.« Das konnte mein Team nicht erklären. Auch die Kamerasignale haben alle funktioniert. Merkwürdig. Aber mit der offiziellen Begründung »Signal-Jamming von White Sands« waren alle aus dem Schneider, und keiner war mehr schuld. Als Lehre zogen wir aus dem Vorfall, dass ich in der Lage sein musste, die Reefing-Leine aus dem Innern der Kapsel zu cutten. Und so haben wir im Nachhinein einen manuellen Cutter eingebaut, damit ich in der Kapsel kein machtloser Passagier bin.
Diese Geschichte mit dem Kapselumbau kam gar nicht mal so ungelegen. Eine vierwöchige Zwangspause? Ich flog zurück in die Schweiz, für einen Monat an den Bodensee, wohin ich mittlerweile umgezogen war. Ich ging schwimmen, tauchen, Inline skaten, noch mal richtig schön meine Batterien aufladen, um dann gut gelaunt und erholt wieder zurück zu sein, geistig und körperlich bereit für meine große Aufgabe, für meinen letzten Streich. Und auch dem Team tat die Pause gut. Das bestand ja nicht aus 25- oder 30-jährigen Jungs, sondern war eine etwas betagtere Herrenrunde. Auch Joe, der alte Herr, konnte mal eine Ruhepause vertragen. Wir haben so viele Jahre gebraucht, stehen jetzt kurz vor unserem Ziel. Wir sind motiviert, voller Selbstvertrauen und sicher, dass wir es schaffen können. Und jetzt nehmen wir uns noch mal ein bisschen Zeit, um durchzuatmen. Ich will einfach diesen großen Showdown genießen, ein wenig vorzelebrieren. Diesen Moment, auf den ich mich fünf Jahre lang intensiv vorbereitet habe. Und nicht schnell, schnell, nach der Vorspeise gleich die Hauptspeise. Jetzt noch mal alles richtig schön herrichten, da und dort noch ein bisschen Feintuning – und dann zeigen wir der Welt, was wir können!
Das Schöne an der Zeit am Bodensee ist, dass ich mein Zuhause anschließend fast komplett zurück nach New Mexico mitnehmen kann. Meine Familie kommt mit mir, Nicole und viele meiner Kumpels. Ich will meinen inner circle an dem größten und schönsten Moment meines Lebens teilhaben lassen. Außerdem ist diese Unterstützung enorm wertvoll für meine mentale Stärke. Ein völlig anderes Gefühl: Zum ersten Mal bin ich nicht mehr der Einzelkämpfer, nicht mehr allein. Als ich in Zürich mit Klaus Pollhammer, meinem besten Freund, in den Flieger gestiegen bin, habe ich mich richtig gefreut auf den Sprung. Ich wusste: Es ist angerichtet.
Zwei Tage vor dem geplanten Launch sind dann Familie und Freunde da. Alle sind natürlich mit Stolz erfüllt. Am meisten, glaube ich, mein Vater. Früher verliefen unsere Gespräche meist so:
»Du, ich fliege nach Rio und springe vom Jesus runter.«
»Jaja, mach nur.«
Ich konnte ja schlecht sagen, komm doch mal mit und leg dich mit mir unterhalb der Jesus-Statue in den Regenwald. Ich springe morgen früh da runter. Oder die Höhle in Kroatien: zwei Wochen im Zelt schlafen – das war nichts für ihn. Darum habe ich ihn nie mitnehmen können. Nach den Sprüngen hat er sich dann die Bilder angesehen, aber da saß ich schon wieder neben ihm auf dem Sofa.
Die Dimensionen von Stratos, dieses gewaltige Ausmaß, das hat mein Vater, glaube ich, vor dem Besuch nicht vor Augen gehabt. Und dann fahren wir vom Flughafen nach Roswell, drei Stunden durch die Wüste, eine einzige Gerade, so lang wie einmal quer durch Österreich, da geht kein Handy mehr, da gibt es meilenweit keine Tankstelle, keinen Coffeeshop, und im Nirgendwo des Wüstensands taucht dann plötzlich der Mission-Control-Komplex auf mit seinen Klimaanlagen, Küchen, wie eine komplette Mondbasis. Zu wissen: Normalerweise ist hier nur Wüste, und das steht jetzt alles hier wegen Felix! Mein Sohn, der mir seit 25 Jahren Geschichten erzählen will, von denen ich immer gesagt habe: »Geh du mal was arbeiten! Such dir mal einen Job! Mit Sport kannst du kein Geld verdienen! Wer wird dir denn fürs Springen etwas bezahlen, nur um dich zu sehen?« Diese ganze Kritik. Und dann auf einmal zu sehen: Das ist das, von dem er immer gesprochen hat. Ich kann es ihm einfach ansehen. Er ist so baff, dass er nicht einmal mehr fotografiert. Und dann mache ich eine Führung mit allen: »Schaut her, hier haben wir jetzt fünf Jahre gearbeitet. Das ist die Facility, das ist die Mission Control, so sieht die Kapsel aus, jeder darf sich mal reinsetzen.«
Mein Vater setzt sich in die Kapsel seines Sohnes, auf der unten unser beider Name steht, Felix Baumgartner. Meine Eltern sind das erste Mal in den USA , und
Weitere Kostenlose Bücher