Himmelssturz
Himmel.«
»Wir können ihn nicht mehr erreichen«, sagte sie. »Wir haben Flugroboter hochgeschickt, und sie wurden zurückgestoßen.«
»Wahrscheinlich ist es nur zu unserem Wohl.« Er ließ neurotisch schnell die Mine eines Kugelschreibers klicken. »Meinst du nicht auch?«
»Ich empfinde es als klaustrophobisch«, sagte sie. »Früher bin ich geschwommen. Ich war ein ziemlich guter Taucher. Ich hatte nie Probleme mit dem Wasser, ganz gleich, wie tief und schwarz und kalt es sein mochte. Aber ich konnte es nicht ausstehen, wenn ich etwas anderes über mir hatte als das Meer und den klaren blauen Himmel.«
»Es ist nicht schlimmer als das, was vorher war. Es ist schon eine ganze Weile her, seit wir die Sterne am Himmel gesehen haben, Svetlana.«
»Aber wir hätten jederzeit von hier verschwinden können, wenn wir es gewollt hätten.«
Er brachte den Aktenordner zum Regal und quetschte ihn zwischen zwei andere dicke Mappen. Für eine Kolonie von weniger als zweihundert Einwohnern produzierte Crabtree eine beachtliche Menge an juristischen Dokumenten. Was allerdings kein Wunder war. Sie hatten eine komplette Wirtschaft aus dem Nichts aufbauen müssen, damit die Menschen angemessen für ihre Arbeit entlohnt wurden. Nach zwölf Jahren musste die Verwaltung immer noch Beschwerden von Leuten bearbeiten, die der Ansicht waren, dass sie bei der ursprünglichen Zuteilung von Krediteinheiten zu kurz gekommen waren. Es hatte sich sogar eine Art Schwarzmarkt entwickelt. Offiziell gab es keinen Kaffee mehr auf Janus, aber wenn man die richtigen Leute kannte, war es weiterhin möglich, an bislang unbekannte Restbestände zu gelangen.
»Wir hätten es nicht überlebt, wenn wir Janus verlassen hätten«, sagte Schrope, »wenn wir aus dem Kielwasser gefallen wären, aus dem schützenden Schatten von Janus. Wir hätten nicht länger als fünf Minuten durchgehalten.«
»Aber es war eine Möglichkeit. Es ist mir sehr wichtig, dass ich Möglichkeiten habe.«
»Wenn ich nach den Anträgen gehe, die auf meinem Schreibtisch landen, Svetlana, machen die meisten Leute einfach wie gehabt weiter.« Schrope zeigte auf ein Regal. »In der Akte ganz rechts geht es um einen Vaterschaftsstreit. Auf der Erde hätten wir die Sache nach ein paar Minuten mit einem DNS-Test geklärt. Der Fall wäre nicht einmal zur gerichtlichen Verhandlung gekommen. Aber hier draußen können wir keine DNS sequenzieren. Axford bemüht sich nach Kräften, aber er ist ohnehin schon sehr beschäftigt, und ich möchte nicht mehr von seiner Zeit beanspruchen als unbedingt nötig. Und das ist nur eine Akte. Wir haben Scheidungsverfahren, Schadensersatzforderungen wegen Körperverletzung, Verleumdungsklagen … sogar die Symbolisten prozessieren wegen religiöser Diskriminierung.«
»Sie haben ihre Religion frei erfunden«, sagte Svetlana indigniert. »Ich habe jedes Recht, sie diskriminierend zu behandeln.«
»Doch objektiv betrachtet leisten sie gute Arbeit im Schlund.«
Sie räumte ihm dieses Argument mit missbilligender Miene ein. »Vielleicht. Aber wie lange können wir uns noch auf sie verlassen? Sie behaupten schon jetzt, ich wäre zu voreingenommen. Inzwischen darf ich den Schlund gar nicht mehr betreten. Ich muss Parry schicken.«
»Ich will damit nur sagen, dass das Leben weitergeht. Vielleicht ist der Eiserne Himmel gar nicht so schlimm, wie du befürchtest.«
»Das sagen mir die Leute auch ständig. Schließlich versorgt Janus uns weiterhin mit Energie und Rohstoffen, die Eiskappe ist immer noch vorhanden … und wenn wir zwölf Jahre überlebt haben, halten wir auch noch etwas länger durch.«
Schrope hörte auf, mit dem Kugelschreiber zu klicken, und legte ihn auf den Tisch. »Aber du siehst es anders.«
»Es gefällt mir nicht, Craig. Ich mag es nicht, wenn ich nicht weiß, was da draußen los ist. Inzwischen müssten wir die spicanische Struktur erreicht haben.«
»Das mag sein«, sagte er beruhigend, als wäre die Problematik für ihn nur von flüchtigem Interesse. »Das System besteht aus zwei blauen Sternen, Svetlana, die sehr heiß und hell sind. Nicht gerade eine gesundheitsfördernde Umgebung für Menschen. Vielleicht wurde der Himmel geschlossen, um uns vor Schaden zu bewahren.«
»Das hoffe ich«, sagte sie. »Ich habe nur Angst vor dem, was wir auf der anderen Seite sehen würden, wenn wir jemals die Gelegenheit dazu erhalten sollten.«
Er seufzte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, die Finger hinter dem Kopf verschränkt.
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