Himmelssturz
Wall und stiegen dann zu dem münzenförmigen Objekt hinunter. Je näher sie kamen, desto massiver und unheilverkündender wirkte es. Vom Beiboot aus hatte es verhältnismäßig klein ausgesehen, aber auf Janus waren Größen und Entfernungen schwer zu schätzen. Aus der Nähe machte es den Eindruck unmöglicher Größe. Es war zehn Meter dick und durchmaß vielleicht sechzig. Als sie sich näherten, bewegten sich große monströs verzerrte Spiegelbilder von Parry und Naohiro auf dem Rand.
»Das muss es sein, was so viel Lärm gemacht hat«, sagte Parry.
Uguru berührte die spiegelglatte Kante mit dem Fingerknöchel, genauso wie Feuerwehrmänner ein Kabel prüften, das möglicherweise Strom führte. »Es ist kalt«, sagte er, als die von seinem Handschuh gemessenen Temperaturwerte in seinem Helmdisplay erschienen. »Kalt und glatt wie Eis. Was glaubst du, wie diese Kante so sauber gearbeitet wurde?«
»Gute Frage, Kumpel.«
Doch Parry schaute längst nach oben und legte den Kopf in den Nacken, so weit es ging. Er kramte seine elementaren trigonometrischen Kenntnisse zusammen. Wenn die Scheibe sechzig Meter durchmaß und der Eiserne Himmel zwanzig Kilometer über ihm hing, dann musste er nach einem Loch suchen, das etwa ein Drittel des scheinbaren Durchmessers des Vollmondes hatte, von der Erde aus gesehen …
Aber er konnte sich kaum noch erinnern, wie der Vollmond ausgesehen hatte.
Doch der Eiserne Himmel war völlig schwarz, und es war möglich, dass auf der anderen Seite des Loches auch nur tiefste Dunkelheit herrschte. Wenn die blaue Strahlung des Spica-Doppelsternsystems hindurchscheinen würde, hätten sie es längst entdeckt. Es hätte Janus wie eine Schweißflamme in einem dunklen Raum erhellt.
Aber sofern die Wunde im Himmel nicht von selbst verheilt war, musste es irgendwo da oben ein Loch geben. Es ging nur noch darum, es zu finden. Später würden sie sich Gedanken darüber machen, was es verursacht hatte.
»Das ist gut, nicht wahr?«, sagte Uguru. »Es bedeutet, das jemand die Blechbüchse geöffnet hat. Es bedeutet, dass jemand weiß, dass wir hier sind.«
Parry sah ihn an und erinnerte sich an ein ähnliches Gespräch mit Mike Takahashi, das vor dreizehn Jahren und zweihundertsechzig Lichtjahren stattgefunden hatte.
»Es könnte vieles bedeuten«, sagte er.
Es war schon etliche Jahre her, seit sich auf Janus so viel ereignet hatte. Zunächst lief es mit großer Trägheit ab, als müsste eine gewaltige Maschine den Widerstand von Öl und Dreck überwinden, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte. Doch nachdem die Bewegung einmal eingesetzt hatte, ging es unaufhörlich weiter. Rohmaterial wurde umgeschichtet und ausgeliefert. Teams wurden geteilt und neu zusammengestellt. In Crabtree brodelten die Erwartungen und die Gerüchte. Überall hörten Svetlana und ihre Spione dasselbe: Es geschieht etwas. Männer, Frauen und Kinder sagten es und betonten es so, als hätten die Ereignisse eine Ermutigung nötig, damit sie wirklich geschahen. Der Druck des Eisernen Himmels schien plötzlich nachzulassen. Niemand wollte, dass sich das Loch im Himmel wieder schloss. Es war wie das erste Licht der Dämmerung nach einer ungewöhnlich langen und finsteren Nacht.
Svetlana schickte Traktoren los, um das Stück aus dem Himmel nach Crabtree zu schaffen. Sie wollte es analysieren, zerschneiden, recyceln. Es war mehr Metall (sofern es wirklich Metall war), als sie bislang von den Lavastraßen stibitzt hatten. Doch die Bergung erwies sich als unerwartet schwierig. Die Seile rutschten immer wieder von den fast reibungslos glatten Oberflächen ab, die Traktoren fanden nicht genug Bodenhaftung, um die Scheibe aus der Vertiefung zu ziehen, die sie beim Aufprall im Eis hinterlassen hatte, und kein menschliches Werkzeug war scharf oder stark genug, um sie in handlichere Stücke zu zerschneiden. Svetlana genehmigte den Versuch, sie mit einem Beiboot aus dem Krater zu hieven, doch als auch dieses Unternehmen scheiterte, gab sie sich geschlagen. Die Scheibe würde bleiben müssen, wo sie war – zumindest vorläufig.
Inzwischen hatten sie eine kleine Siedlung aus Kuppeln und Ausrüstungsschuppen rund um den Krater aufgebaut. Irgendjemand nannte sie Underhole, und der Name blieb haften. Ein supraleitendes Kabel wurde von Crabtree ausgerollt, und eine Traktorroute ins Eis geschnitten.
Zwanzig Kilometer über Underhole gab es ebenfalls Aktivitäten. Man hatte das Loch im Himmel gefunden. Durch Messungen hatte man
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